Der Himmel

Als Gotthold in Betrachtung der betrübten Zeit und großen Zerrüttung an allen Orten und in allen Ständen mit traurigen Gedanken ins Feld gegangen war und mit sich selbst zu streiten hatte, kam er auf einen Hügel, woselbst er ziemlich weit um sich sehen konnte, und gerieth endlich in folgende Gedanken: ich sehe hier Städte, Dörfer, Felder, Wälder, Aecker, Wiesen, Sträuche, Dornen, Steine, Vieh, Vögel und Menschen, alles aber ist mit dem Himmel gleichsam umfaßt, alles ist in den Himmelskreis eingeschlossen. Ich sehe, was ich sehe, so ist der Himmel das Aeußerste und Letzte, da mein Gesicht sich enden muß. Also bin ich auch versichert, daß alles, was in der Welt ist und vorgeht, Gutes und Böses, der himmlischen Regierung und Vorsehung unterworfen ist. Dies ist der große Reif, der die Welt bei so großer Zerrüttung und mannigfaltiger Mißhälligkeit zusammenhält, mit diesem Kreise hat mein Gott alle Dinge mächtiglich, weislich und gütiglich umschränkt, also, daß, wie niemand auf Erden einen solchen Ort finden kann, da ihn der Himmel nicht bedecken und umgeben sollte, so auch sich niemand der göttlichen allgemeinen Regierung entziehen kann, durch welche alles zu des Höchsten Ehre und der Frommen Seligkeit eingerichtet wird. Darum, meine Seele, was trauerst du? was sorgst du? Läßt es sich wunderlich an in der Welt, so bedenke, daß das Wunderlichste ist unter allen wunderlichen und verworrnen Dingen der Menschen, daß die Ordnung Gottes in der Unordnung dennoch besteht und die Allerklügsten sich oft verwundern, wie es doch so ganz anders läuft, als sie es vermeint hätten. Es gehe wie es will, so gehts doch nicht anders, als Gott will. Mußt du mm schon viel Widerliches, viel Trauriges, viel Schreckliches sehen und erfahren, schaue nur ein wenig weiter hinaus, so wirst du sehen, daß der Himmel das Letzte ist; der Himmel regiert, umfaßt, endet alles! Was achtest du es denn, wie es in der Welt zugeht, wenn es zum Himmel geht? Wenn in Kriegsläuften ein reisender Mann ein Stück Geldes bei sich hat und gerne sicher durch wäre, so ists ihm lieb, wenn er einen Wegweiser haben kann, der ihn durch einen Umweg an einen sichern Ort bringt; muß er schon demselben durch ungebahnte Steige, durch Sümpfe und Pfützen, durch Dornen und Gesträuche mit Beschwerlichkeit folgen, so zürnt er darum nicht mit ihm, sondern ist vergnügt und dankt ihm, wenn er ihn nur in seinen Gewahrsam bringt. Was wolltest du es denn übel aufnehmen, wenn dich durch die unsichere, kriegerische, räuberische Welt der liebe Gott nicht läßt in einer Sänfte in den Himmel tragen? Genug ists, daß seine Wege, wie wunderlich sie sind, eitel Güte und Wahrheit sind, Ps. 25, 10, und endlich auf den Himmel hinaus laufen! Hierüber ward er nun voller Muths und Freude und sagte:

Darum, ob ich schon dulde
Viel Widerwärtigkeit, 
Wie ichs auch wohl verschulde, 
Kommt doch die Ewigkeit, 
Ist aller Freuden voll. 
Dieselb ohn einig Ende, 
Dieweil ich Christum kenne, 
Mir widerfahren soll.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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