Der grüne Maien

Als in den h. Pfingsten nach vollendetem Gottesdienst etliche gute Freunde bei einander waren, (da man etlicher Orten Gewohnheit nach die Kirchen nicht allein, sondern auch die Häuser mit Maien schmückte) fing einer an: Was wollen wir uns denn bei den grünen Maien, darunter wir sitzen, Gutes erinnern? Einer von den Aeltesten antwortete: Ich pflege mich dabei meines Zustandes zu erinnern, denn gewiß wir Alten sind den Maien gleich, die eine Weile im Wasser grünen und frisch bleiben, doch endlich und zwar bald verwelken; so ists mit uns auch, man pflegt unser aufs Beste, man kommt unsern verschwächten Kräften mit allerlei guten Speisen und Trank, auch wol mit dienlichen Arzneien zu Hülfe, allein das hilft, so lang es kann, endlich heißts: Der Mensch muß davon! Wir verwelken und vergehen. Ich befleißige mich aber dabei, wie die Maien, ehe sie verwelken, am stärksten riechen, also meines Lebens Ende in der Welt mit einem guten Ruhm und Wohlverhalten angenehm zu machen. Von den ältesten Bäumen soll der beste Weihrauch kommen, und die ältesten Menschen müssen andern mit Gottseligkeit und Tugend vorgehen, auch, wenn sie sonst keine große Arbeit mehr verrichten können, am andächtigsten beten. Gott helfe mir, daß ich diese meine silberne Krone, damit er mein Haupt zu zieren beliebt hat, bald mit ewigem Preis seines Namens zu seinen Füßen legen möge! Offenb. 4, 10. Sprüchw. 16, 31. Die Gedanken sind gut, sagte ein anderer, doch weil man die Maien um diese Jahreszeit auch in die Kirche setzt, so will ich etwas, das die Kirche betrifft, dabei anführen. Man findet in der Kirche Gottlose, Gottselige und dann auch die Heuchler; deren Bild können die Maien sein, die grünen eine Weile, haben aber keine Wurzel, noch Saft, und verdorren bald. So ist der Heuchler Gottesdienst, Andacht, Gebet und ganzes Christenthum. Eine Zeit lang glauben sie, aber zur Zeit der Anfechtung fallen sie ab. Luc. 8, 13. Sie haben den Schein eines gottseligen Wesens, aber die Kraft verleugnen sie, 2. Tim. 3, 5., und solche verdorren endlich ganz, das ist, sie finden keinen Trost, ersterben in ihren Sünden und gehören ins ewige Feuer. Gott verleihe uns, daß Christus in unsern Herzen durch den Glauben wohne, lebe und wirke, und daß wir in der Liebe eingewurzelt und gegründet, Eph. 3, 17., im Hause Gottes ewiglich grünen mögen. Ps. 52, 10. Gotthold schloß endlich und sagte: Weil wir unter den grünen Maien sitzen und uns als Freunde fröhlich bezeigen, so halte ich dafür, dieselben können uns eine gute Erinnerung geben von weltlicher Lust und Freude. Die ist so vergänglich und flüchtig, als wie der Maien Grüne und Schöne. Ehe wir es meinen, so ist dieselbe dahin, und bleibet nichts an den Maien, als daß sie gute Ruthen geben, die muthwilligen Kinder zu züchtigen. So bleibt nach erlangter weltlichen eitlen Lust nichts, als die Reue und ein beschwertes Herz. Gott macht oft aus der sündlichen Lust der Jugend eine scharfe Ruthe, damit er manchen sein Leben lang stäupt. Darum lasset uns unter den Maien fröhlich sein in der Furcht des Herrn, damit nicht unsere wenige und flüchtige Lust in eine große und lange Unlust verwandelt werde. Mein Gott! es ist mir lieb, daß es mit der weltlichen Lust so beschaffen ist, daß wir Ursache und Noth haben, uns nach einer bessern umzusehen. Ich habe meine Lust an dir, an meinem Jesu, seiner Gnade und seinem Wort. Diese Maien grünen allezeit, und ich habe niemals ohne Erquickung und Trost mich darunter befunden.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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