Der Grabstein
Als Gotthold in einer Kirche und folgends auf dem darum gelegenen Gottesacker herum ging und sie besah, hatte er sonderliche Acht auf die Grabsteine und vermerkte die mancherlei Sprüche, Seufzer und Gedanken, welche darauf gehauen, die sich die Verstorbenen zweifelsfrei zur letzten Erinnerung und Trost erwählt und damit fröhlich und selig aus der Welt ihren Abtritt genommen hatten. Hier, sagte er, geht’s wol zu wie in einem Schiffbruch, da einer ein Stück Brett, ein anderer einen Balken, ein anderer ein hölzernes Gefäß ergreift und damit ans Land schwimmt. Also fällt die Andacht der sterbenden Christen bald auf diesen, bald auf jenen Spruch, die doch alle auf Gottes Gnade und Bannherzigkeit, auf des Herrn Jesu theures Verdienst und Blut und des H. Geistes Trost ihr Absehen haben. Wie selig und sanft schläft nun ein Gotteskind unter solchem Stein, welcher den Nachlebenden seinen Glauben, darauf es entschlafen ist, zur Nachfolge anzeigen muß! Was hilft manchem gottlosen Menschen das prächtige Grab, der aufgehängte Helm und Schild, die weitläufige Grabschrift und mancherlei Titel? Fürwahr, ich fürchte, dies alles werde an jenem Tage dem Teufel nur dazu dienen, daß er den verfluchten Körper desto eher finden kann. Wer in seinem Leben viele betrübt und in seinem Tode viele erfreut, dem dient alle Ehre, so nach seinem Ableben ihm angethan wird, nirgends anders zu, als daß die Beleidigten, so oft sie sein Grabmal ansehen, noch etliche Seufzer zu Vermehrung seiner Pein ihm in die Hölle nachsenden. Mein Gott! hilf mir, durch deine Gnade ein rühmliches Gedächtniß mir zu stiften und einzuschreiben in die Gemüther armer, bedrängter und trostloser Leute! Mein Meißel, Pinsel und Feder soll meine milde Hand sein, tröstende Zunge und willfähriges Herz. Was die Hand nicht vermag, das mag die Zunge ersetzen, wo aber diese stecken bleibt, da wollest du, mein Herr! mit dem guten Willen vorlieb nehmen. Erlang ich dieses, so will ich, was das Grabmal betrifft, mit den berühmtesten Leuten und größten Helden der Welt nicht tauschen.
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