Der Geizhals, der sich selbst betrog

Ein Geizhals war schwer erkrankt. Einsam lag er in seinem Bett. Weil er sich nie um jemanden gekümmert hatte, kümmerte sich auch jetzt keiner um ihn. Eines Tages besuchte ihn der Arzt. Der Geizhals fragte ihn, wie es um ihn stehe, ob noch Rettung möglich sei oder nicht. Der Arzt antwortete offen:
»Nach menschlichem Ermessen werdet Ihr morgen um diese Zeit schon tot sein.« Da kroch der Kranke, als der Arzt gegangen war, zu seinem Schreibtisch, holte alle seine Wertpapiere und Geldscheine hervor und warf sie ins Kaminfeuer. Dann legte er sich ins Bett zum Sterben, hochbefriedigt darüber, dass er niemandem etwas hinterlassen hatte.

Als am nächsten Tag der Arzt wiederkam, sagte der: »Merkwürdig, ein wundertätiger Schlaf hat Euch die Krise überwinden helfen. Ihr seid gerettet!« Entsetzt stierte der Geizhals seinen Besucher an. Am folgenden Tag fand der Arzt das Bett des Mannes leer. Wie er sich umschaute, sah er dessen Leiche am Fensterkreuz hängen.
Der Geizhals hatte nicht verwinden können, dass er, der doch alle hatte betrügen wollen, am Ende sich selber betrogen hatte. Er wollte dort sein, wo sein Geld auch war.

(nach Jeremias Gotthelf, 1797-1854)

Quelle: Wie in einem Spiegel, Heinz Schäfer, Beispiel 1636
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