Der fürstliche Einzug

Als an einem Ort eine hochfürstliche Person ihren prächtigen Einzug hielt, verwunderte sich männiglich über die kostbare und zierliche Zurüstung. Auch einer von Gottholds Freunden ließ sich verlauten, daß er sich möchte wünschen, ein Fürst zu sein, damit er auch so vieler Bedienung und Aufwartung, so vieler Herrlichkeiten, Kleidung und Ergötzlichkeiten zur Genüge genießen möchte. Gotthold sagte darauf: Ihr wißt nicht, was ihr wünscht. Was ist diese herrliche Pracht, diese köstliche Kleidung, dieser lange Vortrab und Nachzug anders, als eine scheinbare Bedeckung der mancherlei Beschwerden und Sorgen, damit der Regentenstand belästigt ist? Ein löblicher und christlicher Fürst, wie viel Diener er auch um sich hat, muß doch aller seiner Unterthemen Diener sein. Andere haben unterschiedliche Aemter und Verrichtungen, ihm aber liegt alles ob, er muß sein ein wachsames Auge und wachen, wenn andere schlafen; er muß sein ein scharfhörendes Ohr und der Bedrängten Klagen bald und willig hören; er muß fein ein beredter Mund, die streitigen Sachen mit Gerechtigkeit zu entscheiden; er muß sein eine thätige Hand, die Strafwürdigen zu dämpfen und den Frommen aufzuhelfen; sein Haupt ist und soll sein eine Quelle vieler wichtigen, schweren und einem Lande zuträglichen Gedanken, dadurch sich selbiges selbst nach und nach erschöpft; sein Herz ist ein Sammelplatz aller Sorgen, die von hier und dort her, in und außer seinem Lande sich eräugen; er ist einem hohen Gebirge gleich, denn wie dessen erhabner Gipfel dem Ungewitter am meisten unterworfen und mit Eis und Schnee stets bedeckt ist, welcher hernach zerschmilzt und die umliegenden Thäler und Felder feuchtet und fruchtbar macht, also ist ein Fürst zwar hoch über andere erhaben, aber darum von mancherlei widrigen Zufällen nicht befreit, sondern sein Haupt Ist mit vielen und stetigen Sorgen beschwert und erfüllt zu Nutz und zum Schutz seines ganzen Landes. Mit einem Wort, er ist nach jenes weisen Fürsten Sinnbild wie eine Kerze, die andern mit ihrem Licht dient und sich selbst verzehrt. Trauet mir, daß ich gesehen habe, als ein großer König (dieser war Friedrich der Dritte, König in Dänemark und Norwegen, nunmehr seligsten Andenkens, von welchem, wie schwer ihm hernach die Krone geworden und wie sie mit vielen tausend Sorgen und Aengsten sein königliches Haupt und Herz gedrückt, aus der Historie seiner Regierung männiglich bekannt ist) nach seiner Krönung aus der Kirche mit königlicher Pracht daher zog, die Krone auf dem Haupt, den Scepter und Reichsapfel in den Händen und das Schwert an der Seite habend, daß ihm die von Gold und Edelsteinen schwere Krone das Haupt ziemlich gedrückt, weil er sie öfters zurecht setzte und sie von einer Seite zur andern rückte, dabei ich gedachte, wie schwer die königliche Regimentslast sein müßte, welche durch die Krone bedeutet ist. Wenn ihr nun wünscht, ein Fürst zu sein, so wünscht ihr mit tausenderlei Sorgen und großer Unlust beschwert zu sein und nebst fürstlicher Pracht fürstliche Unruhe und, was das meiste ist, vor dem Richterstuhl Christi fürstliche Verantwortung zu haben. Mein Gott! ich wünsche nichts weiter zu sein, als wozu du mich gemacht hast. Ich gönne gerne den hohen Häuptern, was du ihnen gönnst, ja, ich weiß nicht, ob ich meine Armuth mit ihrem Reichthum, meine Einsamkeit mit ihrer Aufwartung und meine Niedrigkeit mit ihrer Hoheit vertauschen würde. Eins bitte ich: laß mich einen Fürsten sein über die Sünde, die in mir wohnt, und laß mich durch deine Gnade und deinen fürstlichen Geist mich selbst beherrschen! so genügt mir.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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