Der Fahrtenschreiber des Menschen
Die Psychoanalytiker vergleichen die menschliche Seele mit einem Eisberg: Der weitaus größere Teil des Eises ist untergetaucht und darum nicht sichtbar. Ähnlich wie bei einem Eisberg liegen sechs Siebentel des menschlichen Denkens, Planens, Handelns "unter der Oberfläche". Diese sechs Siebentel sind dem Menschen folglich nicht bewusst. Er kann diese Schichten seines Lebens weder wissentlich einsehen noch willentlich steuern. Sigmund Freud (1856-1939) ist es gewesen, der zuerst darauf aufmerksam gemacht hat, dass der Mensch ein überwiegend unbewusstes Wesen ist. Nur ein kleiner Teil seiner selbst ist ihm bewusst. Alles nun, was wir in diesen Raum des Unterbewussten verdrängt haben, ist im Grunde nicht erledigt. Es ist nur verlagert.
Jeder Mensch, wer er auch sei, trägt in sich ein unsichtbares "Tonband", auf dem in unbestechlicher Genauigkeit alles registriert wird, was wir denken, reden und tun. Der "Fahrtenschreiber" unseres Lebens hält fest, was in unserem Leben geschieht und was wir versäumen. Nicht nur die großen und leicht erkennbaren Dinge werden hier notiert. Bei Gott sind nicht nur unsere Gedanken, sondern auch unsere Hintergedanken bekannt, nicht nur unsere Worte, sondern auch unsere Gesinnung, nicht nur unsere Taten, sondern auch unsere Motive. Und das Unheimliche ist: Es gibt keinen Löscher, keinen Radiergummi, kein Schneidgerät, mit dem wir diese Aufzeichnungen tilgen, mit dem wir das Band "cutten" könnten. Es läuft auf eine Spule, die unserem Zugriff entzogen ist.
(Theo Sorg)
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