Der Erdkloß
Als Gotthold über Land reisete und auf dem gepflügten fetten Acker die Erdschollen liegen sah, sprach er zu seinen Gefährten: Ich erinnere mich, was der berühmte Großkanzler in England, Baco von Verulam, berichtet, daß er einen alten Edelmann gekannt, der sich alle Morgen, wenn er aufgestanden, sofort einen frischen Erdkloß hat lassen bringen, daran eine Weile gerochen und solches als ein Mittel zur Erhaltung der Gesundheit und Verlängerung des Lebens ausgerufen. Ich wollte, daß nicht allein alle Edelleute, sondern auch alle Kaiser, Könige, Fürsten und Herren, ja alle Christen diese Gewohnheit hätten. Gewiß, wenn es dem Leibe nicht, so würde es doch der Seele zur Gesundheit dienen, so sie sich dabei ihrer Sterblichkeit und dessen, was die Kirche singt: Was ist der Mensch? Ein Erdenkloß, von Mutterleibe kommt er nackt und bloß, u. s. w. erinnern würden. Denn der Mensch mag sich brüsten, prangen, prahlen, wie er will, so ist er doch nichts anders, als ein Erdenkloß, welchen Gottes Hand in Kurzem zermalmen und zu Staub und Asche machen wird. Man hat viel große Potentaten dem Namen, der Macht und den Thaten nach in der Welt gehabt, allein was sind sie nun? Sollte man in Alexanders, Karls, Ottos, welche unter den Kaisern den Beinamen der Großen geführt, Gräbern suchen, meint ihr, daß man mehr, als eine Hand voll Staub und Asche finden würde? So gehts mit uns andern auch, unsere große Mühewaltung, Sorge, Arbeit, Ehre, Ansehen, Gelahrtheit und anderes Schattenwerk läuft endlich auf eine Faust voll Erde aus. Darum, wenn der weise Mann uns so fein hoch, wie der Frosch in dem Mondschein pflegt, sieht dahertreten und so breit machen, kann er sich nicht enthalten, unser zu spotten und zu sagen: Was erhebt sich die arme Erde und Asche? Ist es doch ein eitler schändlicher Koth, weil er doch lebt, und wenn er denn todt ist, so fressen ihn die Schlangen und Würmer. Sir. 10, 9. 10. 11. Ach, wenn wir uns dessen doch allezeit erinnern und, wo uns der Vorschlag vom Erdenkloß nicht gefiele, jenem frommen Mann folgen möchten, der alle Morgen, wenn er aufgestanden, auf seine Kniee gefallen und die Erde dreimal geküßt hat, erstlich sich zu erinnern, daß er Staub und Asche wäre und sich seinem Herrn und Gott in Demuth nach dem Exempel Abrahams, 1. Mos. 18, 27., und seines Erlösers, Luc. 22, 41., zu den Füßen zu werfen; fürs andere, daß er seinem Herrn Jesu für seine tiefe Erniedrigung, und daß er die Erde mit seinen heiligen, göttlichen Thränen und Blutstropfen besprengt, möchte danken; drittens, daß er dabei herzlich Gott anrieft, daß er ihm zu seiner Zeit ein seliges Ende bescheren, seinem Leibe in der Erde eine sanfte Ruhe und am jüngsten Tage eine fröhliche Auferstehung zum ewigen Leben verleihen wolle. Mein Gott! hilf mir zu solchem und dergleichen andächtigen, gottseligen Hebungen, und laß sie ohne Falsch, doch nicht ohne Frucht bei mir sein.
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