Der echte christliche Hochmut

Eberhard Busch schreibt: Eine meiner Aufgaben bei Karl Barth (1886-1968) bestand darin, ihm bei der Erledigung seiner vielen Post zu helfen. Er bestimmte jeweils, welche Briefe von ihm selbst zu beantworten seien und bei welchen auch eine Antwort aus meiner Feder genügen würde. Im letzteren Fall schrieb er gern eine kurze Bemerkung auf den eingetroffenen Brief, in welchem Sinn etwa einiges zu schreiben wäre. Oft wunderte ich mich wohl, wie er bei der Erledigung seiner Post im Einzelnen verfuhr. Da schrieb eine berühmte, fürstliche Persönlichkeit auf hochedlem Papier und unter einem imposanten Wappen eine Einladung: Er möge sich mit anderen Auserlesenen an der Gründung einer europäischen Geistesgesellschaft beteiligen. Doch brachte er auf diesem Brief nur einen langen Pfeil an, der auf jenes Wappen wies, und notierte dazu: "Trotzdem ablegen!" Zur selben Zeit traf der Brief eines ihm unbekannten, einfachen Familienvaters ein, der ihn im Leid um seine Frau um ein Wort der Hoffnung bat. Da ließ Barth alles übrige liegen, um sogleich selber den Brief ausgiebig zu erwidern. "Das hat jetzt Vorrang vor allem anderen..."
Eines Tages kam für mich eine neue Überraschung, als er mir einen Brief zur Beantwortung mit dem Vermerk hinlegte: "Schreiben Sie diesem törichten Mitmenschen einige in echt christlichem Hochmut abzufassende Worte!" Die Formulierung war mir erstaunlich neu. Von christlicher Demut meinte ich schon genug gehört zu haben. Aber "christlicher Hochmut"? Da musste ich erst einmal näher nachfragen.
"Aber begreifen Sie doch", bekam ich zu hören, "von christlicher Demut weiß der nichts Rechtes, der nicht auch etwas von echt christlichem Hochmut weiß. Es gibt auch eine tief unchristliche Demut - nämlich wenn die Demut zu einer elenden Kriecherei wird da, wo ich vielmehr aufrecht stehen, um der Sache willen stehen muss!"
(Eberhard Busch)

Quelle: In Bildern reden, Heinz Schäfer, Beispiel 1422
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