Der Bienenschwarm
Es war aus einem benachbarten Garten ein Bienenschwarm in Gottholds Garten geflogen und hatte sich an einen jungen Baum angesetzt. Gotthold sagte: Es müssen diese Gäste nicht umsonst zu uns herüber gekommen sein, und wenn wir nur der Sache nachdenken wollen, können sie ihre Stelle mit einer guten Lehre bezahlen. Ich wollte einen Bienenschwarm an einen Baum hängend malen, die christliche Gemeinde und deren Liebe zu dem Herrn Jesu vorzustellen, mit der Beischrift: Meinen Jesum (König) laß ich nicht. Dieser ganze Haufe wird bekanntlich von einem Könige regiert, und zwar nicht mit Zwang, sondern mit Liebe. Diese Honigvöglein haben eine solche Liebe zu ihrem Könige, daß sie mit ihm ausziehen, ihm folgen und ihn nicht lassen; fliegt er, sie fliegen auch; setzt er sich, sie hängen sich an ihn; eilt er davon, sie eilen ihm nach; wird er etwa durch einen Unfall lahm an den Flügeln und fällt zur Erde, sie fallen alle auf ihn und bedecken ihn, wie ichs mit meinen Augen gesehen habe. So ist die Gemeine der Heiligen; ihr einiges Haupt ist Jesus, auf welchen ihr ganzes Herz gerichtet ist, dem ihre Seele anhängt, sie folgen ihm fröhlich und willig, wo er sie auch hinführt, es ist aller ein Denkspruch: Meinen Jesum laß ich nicht. Sie werden alle durch seinen Geist beseelt und von seiner Liebe regiert, ihr ganzes Wesen ist die Gemeinschaft mit Jesu und unter einander. Lasset uns nun darnach mit allem Ernst trachten, daß wir auch unter solcher Gesellschaft erfunden werden. Das ganze Christenthum kann in drei Punkte gefaßt werden: an Jesum glauben, Jesum lieben, Jesu folgen; daran wir aber unser Leben lang zu lernen haben. Ach, allerliebster Herr Jesu! wann werde ich dich doch so herzlich lieben, als die Imme ihren König? Ich denke an deinen Apostel, der, als er zum drittenmal von dir gefragt: Hast du mich lieb? traurig ward und antwortete: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, daß ich dich lieb habe. Joh. 21, 17. Fragst du mich auch, mein Heiland! ob ich dich lieb habe, so antworte ich zwar, wie dein Apostel, doch mit traurigem Herzen und thränenden Augen; denn mein Herz überzeugt mich, daß meine Liebe so schwach, daß sie fast für keine Liebe zu achten. Ich liebe dich ja, aber was bin ich gegen dich, und was ist meine Liebe gegen dein Verdienst? Nur eins ist mein Trost; der Wille ist da. Wenn ich sage: ich liebe dich! so sage ich es mit Trauern und mit Thränen; wenn ich aber sage: ich wollte dich gern von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von allen Kräften lieben, so bin ich freudig und getrost, denn ich sage die Wahrheit. Ach, durchschieße, o süßter Herr Jesu! unsere Herzen mit den feurigen Pfeilen deiner Liebe! Brich hindurch, bis in die innerste Kammer unsers Herzens! Senke dich in die Tiefe unserer Seele und mache Herz und Seele von deiner Liebe flammend und wallend!
O Jesu Christ! mein schönstes Licht!
Der du in deiner Seele
So sehr mich liebst, daß ich es nicht
Aussprechen kann, noch zählen;
Gieb, daß mein Herz dich wiederum
Mit Liebe und Verlangen
Mög umfangen,
Und als dein Eigenthum
Nur einzig an dir hangen!
Gieb, daß sonst nichts in meiner Seel,
Als deine Liebe wohne,
Gieb, daß ich deine Lieb erwähl
Als meinen Schatz und Krone!
Stoß alles aus, nimm alles hin,
Was mich und dich will trennen
Und nicht will gönnen,
Daß all mein Muth und Sinn
In deiner Liebe brennen.
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