Der Bezoarstein

Es ward Gotthold ein Bezoarstein gewiesen, der 2 Loth wog, und als man darüber von dieses Steines Tugend redend ward, sagte er: Es ist in Indien ein Thier, einem Hirsch und zum Theil einer Gemse nicht unähnlich, welches sich auf den Gebirgen aufhält und von den schönsten und edelsten Kräutern lebt; in dessen Leibe wird dieser Stein gezeugt, so, daß er anfangs klein ist, mit den Jahren aber und je älter das Thier wird, mehr und mehr zunimmt, wie solches die auf einander geschlossenen Reifen, die sich leicht von einander lassen abschlagen und trennen, so daß der nächste doch allezeit so glatt und schön ist, als der oberste, genugsam bezeugen. Was aber seine Tugend und Wirkung betrifft, ist dieselbe nunmehr durch die Erfahrung so bekannt geworden, daß er unter den alleredelsten Arzneien wider allerlei Gift fast die Oberstelle erhalten hat, maßen. denn die Aerzte glaubwürdig berichten, daß sie seine Kraft wider das geschwindeste Gift in halbtodten Menschen erfahren haben. Was ists aber anders, das in diesem schlechten Dinge so kräftig wirkt, als die gütige Kraft unsers Gottes, die sich wie tropfenweise in die Kreaturen ergießt und dem elenden menschlichen Leben zu Steuer kommt, zugleich aber uns als im Bilde vorstellt, was wir für unsere Seele aus dem Worte Gottes und den theuren Wunden Jesu zu erwarten haben. Mein Herr Jesu! dir hat beliebt, mit einem Rehe oder jungen Hirsche in deinem Worte verglichen zu sein, Hohel. 8, 14., bei dir finde ich den rechten Bczoar für meine durch die Sünde vergiftete und halbtodte Seele. Dein Blut, du Sohn Gottes! macht mich rein von allen Sünden, 1. Joh. 1, 7. Du hast mich aus der Hölle erlöset und vom Tode errettet. Du bist dem Tode ein Gift und der Hölle eine Pestilenz geworden, Hos. 13, 14. Durch deine Gnade wird mein Herz ewig leben. Ps. 22, 27.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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