Der beste Buchstabe
In einer gottseligen Gesellschaft ward zur erbaulichen Zeitkürzung die Frage aufgegeben, welches der beste und nützlichste Buchstabe im ABC wäre. Hierauf antwortete einer: Weil sich unser Heiland selbst das A und O nennt, Offenb. 1, 8., so muß man denen vor andern den Preis gönnen. Es ist aber selbiges nach dem ABC der Griechen anzunehmen, in welchem das A den ersten und das größere O den letzten Buchstaben macht; und unser Erlöser will andeuten, daß er sei der Anfang und das Ende aller Dinge und zuvörderst unsers Heils; er ist der Anfänger und Vollender unsers Glaubens. Hebr. 12, 2. Er soll billig des Morgens der erste und des Abends der letzte in unsern Gedanken sein; auf ihn soll man einen Menschen verweisen beim Anfang seines Lebens, daß er lerne ihn recht erkennen, lieben und auf ihn hoffen, auf ihn soll man denselben anführen auch beim Ausgang seines Lebens, daß er in herzlichem Vertrauen auf sein h. Verdienst selig einschlafe; in und mit dem Herrn Jesu sollen wir billig alles unser Vorhaben beginnen, mit und in ihm es auch schließen. Ein anderer sagte: er hielte dafür, man müßte dem I den Vorzug gönnen, nicht allein, weil er in dem wesentlichen vornehmsten Namen unsers Gottes der erste ist, und die alten Hebräer drei I den dreieinigen Gott zu bedeuten geschrieben, sondern auch, weil er der Anfang ist des theuren werthen Namens Jesu. Gotthold sagte: Es gefallen mir eure Gedanken sehr wohl, doch will ich auch meine Meinung entdecken; mich däucht, die Frage gehe eigentlich dahin, welcher uns Menschen der beste und nützlichste Buchstabe sei. Darauf antworte ich: das M, welchen man möchte den Buchstaben des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung nennen. Aus der Schrift wissen wir, daß ein Gott, ein Vater, ein Herr im Himmel ist, daß ein Jesus, ein Seligmacher, ein Mittler zwischen Gott und den Menschen ist, daß ein Tröster ist, daß ein Himmel und ewiges Leben ist; allein dieses ist nicht genug. Dies wissen die Teufel auch; was fehlt denn noch, daß diese hohen und herrlichen Namen dem Menschen zu Nutz kommen? Der Buchstabe M; ich muß von Herzen können glauben und sagen: Gott ist mein Gott, mein Vater; Jesus ist mein Jesus, mein Seligmacher, mein Mittler; der H. Geist ist mein Tröster, der Himmel ist mein, die Seligkeit ist mein. Darum reden die h. Kinder Gottes so: Mein Freund ist mein und ich bin sein. Hohel. 2, 16. Christus ist mein Leben. Phil. 1, 21. Herzlich lieb hab ich dich, Herr, meine Stärke, mein Fels, meine Burg, mein Erretter, mein Gott. Ps. 18, 2. 3. Ich hoffe, Herr, auf dich und spreche: Du bist mein Gott! Ps. 31, 16. Du bist mein Gott, und ich danke dir, mein Gott, ich will dich preisen. Ps. 118, 28. Ich weiß, daß mein Erlöser lebt. Hiob 19, 25. Ohne diesen Glaubensbuchstaben würde mir Jesus nichts nütze. Was hilfts, wenn ich weiß, daß ein großer Monarch viele Schätze hat, und ich habe nicht einen Pfennig darunter, der mein ist? Was hilfts, wenn ich weiß, daß Jesus ist ein Heiland der Welt, wenn ich nicht von Herzen glaube, daß er auch mein Heiland ist? Zu verwundern ist es, daß der Buchstabe M nicht anders, als mit verschlossenem Munde kann ausgesprochen werden; so ist zwar Jesus sonst allgemein und ein Heiland aller Menschen, doch wenn von meinem Heil gehandelt wird, muß mein Herz sich so fest und ihn, Jesum, in sich schließen, als wenn sonst niemand in der Welt wäre, dem er zugehörte. Ach, sagte hierauf ein frommes Herz, ich lasse auf solche Weise diesen Buchstaben gerne den besten sein, muß aber dabei sagen, er sei auch der schwerste auszusprechen; den Weltkindern ist nichts leichter, als glauben, als sagen: Mein Gott! Mein Jesus! allein die gottseligen und durch Anfechtung geprüften Herzen finden in der Uebung, wie schwer es fei, von ganzer Seele glauben, daß der ganze, liebe, süße Jesus mein sei. Gotthold fuhr fort: Ich will euch hierin gerne Beifall geben, ich weiß, wie schwer es ist, wenn unser irdisches, kleines, schwaches Herz den ganzen Himmel in sich fassen soll. Doch müssen wir hieran lernen, weil wir leben, und Gott bitten, daß er uns helfe diesen Buchstaben von ganzem Herzen aussprechen; und zwar, für wen ist der süße liebe Jesus mit seinen h. bluttriefenden Wunden, Verdienst, Gerechtigkeit und Seligkeit, als für die beängstigten Herzen und betrübten Gewissen? Für wen hat der Vater Brod, als für seine hungrigen Kinder? Für wen giebt die Quelle das Wasser, als für den gejagten Hirsch oder einen durstigen und erhitzten Wandersmann? Für wen ist die volle Mutterbrust, als für das weinende und schmachtende Kind? Für wen ist Gottes Gnade, die Vergebung der Sünden und der Trost des Wortes und des Geistes Gottes, als für die bußfertigen Sünder, für hungrige und durstige Seelen? Die h. Engel bedürfens nicht, die Teufel begehrens nicht, die ruchlosen und sichern Menschen achtens nicht, so bleibts denn für uns, die wirs bedürfen, begehren und über alles hoch achten. Ach, Herr Jesu! lehre mich diesen Buchstaben mit allen Kräften meiner Seele aussprechen und sagen: mein Jesu! mein Erlöser! mein Seligmacher!
© Alle Rechte vorbehalten