Der Bernstein

Der Bernstein, welchen die gelehrten Aerzte wegen seiner heilsamen Kraft wider so mancherlei schwere Zufälle der menschlichen Gesundheit pflegen den europäischen oder deutschen Balsam zu nennen, hat die Art, daß er durch Reiben erwärmt die Strohhalme, Spreu, zerschnittenes Papier, ja wol grüne Blätter von Blumen oder Kräutern an sich zieht. Dieses versuchte Gotthold und sah es mit Lust an, gedachte aber dabei, daß ihm hierin vorgebildet würde, was böse Gesellschaft und Geschwätz bei guten Sitten ausrichten könnten. Mancher Mensch ist, sprach er, von Gemüth edel, von Sitten wohl erzogen, eines guten Namens und schöner Gaben, allein wenn er zu ruchloser Gesellschaft geräth, welche die Ueppigkeit und fleischliche Lust zu überzuckern und aus güldenen Schalen zu schenken weiß, so erwärmt an ihm das sündliche Fleisch und Blut, daß er die schnöde Weltlust begierig an sich zieht und damit sein voriges Wohlverhalten vernachtheilt. Es geht ihm wie einem, der mit schlechter Begierde zu essen zu Tisch kommt und nachmals, wenn er etwas Gutes vor sich sieht und es dem Munde beut, nicht erst sich sättigen kann. Behüte mich, getreuer Gott! daß ich mich an der Welt nicht reibe, damit nicht mein Herz durch Gelegenheit und lüsterne Veranlassung gereizt aus deiner Furcht schreite und sich an die schnöden Eitelkeiten zum Verderben meiner Seele hänge!

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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