Der Bach
Als etliche Taglöhner zur Abendzeit aus dem Felde kamen, mußten sie bei einem fließenden Wässerlein vorüber gehen, woselbst sie sich niederließen und mit dem schönen frischen Wasser sich nicht allein abkühlten, sondern sich auch vom Staube und Schweiß reinigten. Gotthold sah dieses im Vorübergehen und gedachte bei sich selbst: mein Gott, wie lieblich und anmuthig ist mir das lautere Strömlein deiner Güte, welches mir dieser Bach zu betrachten vorstellt; wie behutsam ich auch vermeine, den Tag über zu wandeln, so kann ich doch der gänzlichen Befleckung nicht entübrigt sein, welche nicht leichter, als abends im Nachdenken und Untersuchen meines Tagwerks von mir erkannt werden. Aber der Strom deiner herzerquickenden Gnade ist alsdann meine Zuflucht, da reinige ich mich und wasche ab meine Sünden, da find ich Trost und Labsal für meine matte Seele. Dieses Strömlein wäscht nicht allein die Unsauberkeit ab, sondern verschwemmt sie auch, daß sie nicht mehr zu finden ist; also deine göttliche Barmherzigkeit und das Blutströmlein meines Erlösers Christi Jesu reinigt mich nicht nur von meinen Sünden, sondern tilgt sie auch und führt sie in die Tiefe des Meers, daß ihrer in Ewigkeit nicht mehr soll gedacht werden. Herr Jesu! du Quelle des Lebens, deine Gnade ist mein Trost; deine stetsfließende Güte ist das frische Wasser meines betrübten Herzens; ich wünschte mir so viele Zungen, als Tröpflein Wasser dieser Bach führt, so sollte ihre Arbeit keine andere sein, als deine unbegreifliche Liebe und Güte preisen.
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