Der arme Mann
Es war ein armer alter Mann, der in einem schlechten Hüttlein lebte, sein Reichthum war eine einige Kuh, deren wenige Milch und ein halbgares Brod, das er selbst in seinem Kachelofen gebacken, war seine Speise, welche er mit einem Gericht Kraut und Rüben, die ihm im nächstgelegnen Garten gewachsen, zu verbessern pflegte; sein Getränk war mehrentheils der Kovent, zuweilen auch das Brunnenwasser, sein Hausgeräth war ein Beil, ein Grabscheit oder Spaten und etliche wenige Töpfe. Gotthold sah oft seiner Haushaltung mit Verwunderung zu und sagte einmal zu einem guten Freunde: Unter diesem Manne und uns ist kein Unterschied, als den Gottes Gnade macht, welche ihn ein kümmerliches Leben zu führen geheißen, uns aber mit einem und dem andern, das die Nothdurft des menschlichen Lebens erheischt, besser angesehen hat, da wir doch so wenig, als er, dem lieben Gott zuvor gegeben, das uns wieder vergolten würde. Lasset uns aber wohl zusehen, daß wir solche Leute nicht verachten oder betrüben, wissend, daß Gott seine liebsten Kinder unter dem Bettelmantel zu verhüllen pflegt. Bald nach diesem ward berichtet, daß dieser Mann seine einige Kuh verkauft und, nachdem er dafür etliche Thaler bekommen, sich seither recht reich geachtet, auch zuweilen, wenn er etliche Pfennige zum Trunk Bier angelegt, trotziger, als vorhin gewesen und, wem ers bieten durfte, über quer geantwortet hätte. Gotthold lachte und sagte: Seht ihr nun, was zeitliche Glückseligkeit ist, und wie ungeschickt das menschliche Gemüth ist, dieselbe zu ertragen! Dieser Mann erhebt sich, so gut er kann, weil er ein paar Thälerchen im Beutel hat, was meint ihr, würde er thun, wenn es 20 oder 100 wären? Lasset uns demnach milder ins künftige von der göttlichen Regierung urtheilen, wenn sie uns nicht so viel zuwendet, als andern, oder als wir begehren. Es möchte uns eben so wenig, als diesem Manne dienen. Das glückliche Wohlergehen ist manchem wie der starke Wein einem schwachen Kopf, der ihn erst fröhlich und muthig, hernach trunken und halb rasend macht. Darum jenes gottselige Weib wohl gesagt: sie wäre 15 Jahre nicht wohl bei Sinnen gewesen. Denn weil ihr Mann in kurzer Zeit durch ein sonderliches Glück 9000 Reichsthaler erworben, hätte sie sich darin nicht zu schicken gewußt, bis daß ihre ungerathenen Kinder das Gütlein durchgebracht, und sie wieder blutarm geworden; da hätte sie sich erst wieder besinnen können. Hiob 31, 26 vergleicht die weltliche Glückseligkeit mit dem vollen Mond. Nun bezeugt aber die Erfahrung, daß der volle Mond, wenn er das Leinengeräth, das ein Mensch mit seinem Schweiß gefeuchtet hat, bescheint, eine Fäulung und Würmer darinnen erzeugt; ja man hat ein Exempel, daß, als ein Arzt zu einem gefährlich verwundeten Patienten gefordert worden und wegen stetigen Nachdenkens, wie die Kur glücklich anzustellen, die Nacht nicht schlafen konnte, sondern den vollen Mond durch ein offnes Fenster stetig angesehen, er von dessen Strahlen geblendet worden, daß er auf den Morgen nichts sehen konnte. So gehts auch den Leuten, denen das wandelbare Licht des Glücks voll scheint, es verursacht gemeiniglich allerlei Lasterwürmer und blendet ihren Verstand, daß sie des Unglücks, so bald zu folgen pflegt, nicht gewahr werden. Mein Gott! dir ist mein Herz besser, als mir bekannt; gieb mir, was dir beliebt, so genüget mir
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