Der am Kreuz hat dürsten müssen
An einem Karfreitagnachmittag saß in einem Wirtshaus eine leichtfertige Gesellschaft. Die Leute spielten und tranken und ergingen sich in allerlei Scherzreden. Während nun einer von ihnen das Glas an den Mund setzte, fiel sein Blick auf die ihm gegenüber an der Wand hängende Uhr. Sie zeigte eben auf die dritte Stunde. Da hob er spottend an: "Wie gut haben wir es doch! Wir können so schon sitzen und trinken und Der am Kreuz hat dürsten müssen!" Darauf leerte er behaglich sein Glas. "Der am Kreuze hat dürsten müssen!" wiederholten einige seiner Genossen mit schrecklichem Gelächter. Aber einem der Zechbrüder machte das Wort wie eine Donnerstimme das Herz beben. Es ging ihm durch Mark und Bein. Vergebens bemühte er sich, seine Seelenangst auf der Spötterbank zu unterdrücken. Fort und fort klang ihm das Wort in den Ohren: "Der am Kreuz hat müssen dürsten!" Endlich konnte er es in der schwülen Wirtshauslust nicht länger aushalten, es trieb ihn hinaus und hinein in sein Kämmerlein. Da sank er auf seine Knie und rief zerknirscht aus: "Herr Jesus, Du hast am Kreuz gehangen und gedürstet! Dir war es bange um unsere Seelen, nach deren Rettung Du dürstetest! Du hast für Deine Feinde, Deine Mörder gebetet: 'Vater, vergib ihnen!' Du hast einen Schächer, der sich reumütig und gläubig zu Dir wandte, in Gnaden angenommen, ach, erbarme Dich auch meiner! Sei auch mir Sünder gnädig! Vergib mir alle meine Sünden! Öffne auch mir Deines Paradieses Tür und lass mich Dein ganzes Eigentum sein und bleiben!"
Und siehe, das Wort: "Der am Kreuz hat dürsten müssen" blieb in seinem Herzen haften. Der Spott aus dem Munde eines Satansknechtes war ihm eine Predigt zu seiner Seligkeit geworden. Er war von jenem Karfreitag an ein anderer Mensch. Man sah ihn dem gemäß fortan nie mehr am Trinktisch auf der Spötter Bank. Er hatte in der Liebe zu Jesus und in der Gemeinschaft mit den Seinen etwas besseres gefunden.
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