Das Zuckerküchlein

Gottholden wurden zur Gesundheit Zuckerküchlein von einem berühmten Doktor der Arznei gegeben, davon er täglich morgens und abends eins oder ein Paar nehmen mußte, die er auch sehr heilsam und dienlich befand. Was? sagte er bei sich selbst, mein Gott! soll denn mein Leib etwas Heilsames haben und ich sollte meiner Seele dabei vergessen? Das sei ferne! Meine Seele hat auch ihre Zuckerkörner und Küchlein, nämlich ein oder zwei Worte, die sie oft lange in Gedanken und Betrachtung hält, daß sie gleichsam im Gemüth zerschmelzen und das ganze Herz mit Süßigkeit, Freude, Friede, Trost und Kraft erfüllen. Solcherlei ist das Wort: Vater. O wie viel fließender Süßigkeit habe ich oft darinnen gefunden! und wie recht hat ein geistreicher Lehrer (Joh. Arno) geschrieben: „Wenn einer es recht bedenkt, so wird er bekennen müssen, daß in dem einzigen Wort Vater ein vollkommner Trost sei, so allein genug wider allerlei Trübsal.“ Als jenem Knäblein das Haupt weh that, ging es zu seinem Vater und sprach: O mein Haupt! mein Haupt! 2. Kön. 4, 19., und ich, wenn meine Seele betrübt und mir nicht wohl ist, gehe zu meinem himmlischen Vater und sage: O mein Herz! mein Herz! O Vater, hilf deinem betrübten Kinde! Wo sollte das kranke Kind hin, als zu seinem Vater und von da zu dem Schooß seiner Mutter? Und wo sollte ich mit meinem Anliegen und Sorgen hin, als zu meinem Herrn Jesu und durch ihn zu meinem lieben himmlischen Vater? Ach Vater! du bist es ja; ob du es schon in deinem Herzen verbirgst, so weiß ich doch, daß du daran gedenkest. Wer hat mir sonst diesen Mund gegeben, der zu dir schreit? Wer diese Augen, die zu dir thränen? Wer die Hände, die ich zu dir aufhebe? Wer das Herz, das nach dir sich sehnt und nach deiner Hülfe seufzt? Ja, wer hat mich zum Kinde angenommen und mich heißen beten: Vater Unser, der du bist im Himmel? Warum hat dies Wort müssen in diesem göttlichen Gebet vorn an stehen, als daß es ein Zuckerkorn wäre den frommen Herzen, welchen um Trost bange ist? Ein solches ist auch der süße Name Jesus, welcher mit Recht aller Gläubigen und Auserwählten im Neuen Testament Zuckerküchlein mag heißen, das sie im Leben, im Leiden und Sterben im Herzen und Munde haben getragen, das auch mit seiner himmlischen süßen Kraft in ihrer Seele zerflossen ist. Was ist süßer für ein betrübtes Herz und beängstigtes Gewissen, als Jesus, der Seligmacher? O Jesu! O Seligkeit! Diesen setze ich billig hinzu den Namen des H. Geistes: Tröster oder Beistand, Fürsprecher. Gewiß es ist aus liebreichem Rath der hochgelobten Dreieinigkeit geschehen, daß jeder Person ein sonderbarer süßer Kraft- und Trostname gegeben ist. In solchem Namen ist ein süßer und seliger Zwang, damit wir den Allmächtigen nöthigen und zu unserm Willen haben können, wie Moses, der sich sein durchs Gebet dermaßen bemächtigte, daß er zu ihm sagte: Laß mich. 2. Mos. 32, 10. Denn gesetzt, daß ein angefochtenes, betrübtes, mattes Herz nichts mehr könnte vorbringen, als das Wort: Vater! mein Vater! Jesus! Jesu, hilf! ach Tröster, tröste! So ist hierin schon eine große Kraft, Gott das Herz zu rühren, weil es ihm seine Pflicht und Verheißung vorhält und durch den Namen die That fordert. Ich habe einmal eine Neujahrspredigt gehört, darinnen des Lehrers Wunsch war, daß der allerliebste und seligste Wille Gottes an seinen Zuhörern, wie auch in ihnen und durch sie möchte in dem angehenden Jahr und allezeit vollbracht werden. Sein Geschenk waren die obgesetzten drei Namen: Vater, Jesus, Tröster! Und mich däucht, er habe die ganze Seligkeit gewünscht und geschenkt. Nun wohlan, so will ich mich hinfort allezeit auf solche Zuckerkörner für meine Seele schicken; ich will mir täglich, nachdem meiner Seele Zustand es erheischen wird, ein Wort erwählen, das ich den ganzen Tag im Mund und Herzen will haben, nämlich entweder eins von den obgesetzten, oder auch: Seligkeit, Himmel, Sterben, Richterstuhl, Hölle, Ewigkeit und dergleichen, dabei mich stets zu erinnern, daß ich diese Dinge wohl in Acht haben und nimmer vergessen müsse. Mein Gott, Vater, Jesus, Tröster! gieb du Segen und Gedeihen dazu, daß sie meiner Seele wohl bekommen.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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