Das Vorgehen
Gotthold sah bei einer vornehmen Zusammenkunft, wie die Leute um das Vorgehen sich nöthigten. Das gehört auch mit, sprach er zu einem Freunde, der bei ihm stand, zu der weltlichen Eitelkeit und hochschädlichen Thorheit. Hier stellt sich die Hoffart, als wenn sie nicht hoffärtig wäre, weil sie selbst wohl weiß, daß sie so scheußlich ist, daß sie anders, als unter dem Mantel der Demuth sich nicht darf sehen lassen. Mancher, der gerne die erste und Oberstelle gehabt hätte, läßt sich um die dritte und vierte nöthigen, und der ihn am meisten nöthigt, dürfte sie ihm, wenn er sie annimmt, am wenigsten gönnen. Also verirt einer den andern mit einem Mund voll höflichen Windes, der Ort aber giebt oder nimmt der Person nichts; ich bin, der ich bin, ich gehe voran oder folge nach. Jener weise Heide, (Aristipp) als er an eines Königs Tafel unten an gesetzt ward, nahm gern vorlieb und sagte: Ich sehe wohl, daß Eure Majestät diesem Ort gern ein Ansehen machen wollen; wohl wissend, daß er seiner Stelle und nicht die Stelle ihm ein Ansehen zu geben vermöchte. Jener fromme Fürst (Herzog Ullrich von Würtemberg), als er in einer Versammlung sah, wie man die Zeit mit Erörterung des Streits wegen der Oberstelle zudringen thäte, sagte aus heroischem Herzen: Setzet mich, wohin ihr wollt, auch hinter den Ofen, ich will vorlieb nehmen, nur daß wir etwas Gutes und Fruchtbarliches schließen mögen, darum wir ja zusammen gekommen. Es sah der weise Held wohl, daß der Satan kein kräftiger Mittel hat, gute Rathschläge zu zerstören und Mißtrauen, heimlichen Haß und endlich offenbare Feindseligkeit zu stiften, als das Obenangehen und Sitzen. Wie nun dies bei hohen Häuptern schädlich ist, also ist es lächerlich, wenn die Geringeren es ihnen nachthun wollen. Mein Gott, wenn die Unterstelle verursachte, daß du mich nicht sehen könntest, so wollte ich mich auch um die Oberstelle bemühen, ich weiß aber, daß du dich zwar hoch gesetzt hast, dennoch aber aufs Niedrige siehst im Himmel und auf Erden, Ps. 113, 5. 6. Was schadet es mir denn, daß ich hintenan gehe oder untenan sitze, wenn mich nur ein Blick deiner Güte anstrahlt? Mein Gott! ich will hiebei eins mit dir bedingen: hilf mir aus zu deinem Reich und in den Himmel, ich will nicht begehren mit Abraham, Isaak und Jakob zu Tische zu sitzen, sondern ich will die Brosamen, die von ihrem Tische fallen, auflesen und gerne vorlieb nehmen, ich will gern ein Fußschemel deiner Heiligen sein, nur daß ich mit ihnen einen Theil an der Seligkeit habe.
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