Das verworrne Garn
Ein Weibsbild hatte auf einer Wende ein Stück Garn angelegt, willens, es auf Knäuel zu bringen, weil es aber ziemlich verworren war und der Faden ihr nach ihrem Wunsch nicht folgen wollte, ermüdete endlich ihre Geduld, riß das Garn hin und wieder und machte damit übel nur ärger, maßen der Enden immer mehr und mehr wurden, daß sie nicht wußte, welches sie nehmen sollte. Gotthold sah dieses mit Stillschweigen zwar an, dachte aber bei sich selbst: hier sehe ich klärlich, woher es kommt, daß verworrne Händel durch vieler Leute Zuthun oft nur mehr verwirrt werden, freilich daher, weil mancher mehr unzeitigen Eifer und Jähzornigkeit, als vernünftige Bescheidenheit und Verstand dazu bringt. Eine Sache ließe sich zuweilen wol heben und finden, wenn man nur die wunderlichen und eigensinnigen Köpfe bei dem rechten Ende, da sie wohl liefen, erfassen könnte. Die Welthandel sind fast alle wie dies Garn. Wer nicht ein sanftmüthiges und sittiges Herz dazu bringt, der wird wenig dabei Gutes stiften. Eine Thorheit ist’s, wenn man meint, daß sich alle Dinge nach seinem Sinn schicken sollen und müssen, da man dagegen besser thut, wenn man sich in die Zeit und Sachen schickt, doch so viel mit unverletztem Gewissen geschehen kann. Mancher klagt über das verworrne Garn und über wunderliche Leute, mit denen er zu thun habe, und sieht nicht, daß er selbst viel seltsames Gespinnst unter seinem Hut deckt und andere eben so viel Ursache über ihn zu klagen befinden. Mein Gott! ich muß täglich solches verworrne Garn in meinem Beruf erwarten; gieb mir ein weises und sanftmüthiges Herz, damit ich in demselben ein gutes Ende glücklich finden möge!
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