Das verrostete Eisen
Als ein Stück hellvolirtes Eisen eine Weile an einem feuchten Orte gelegen hatte, fand es sich, daß es ganz rostig geworden war. Gotthold zeigte solches seinen Leuten und sagte: Lernet hieran, was böse Gesellschaft und Gelegenheit zu sündigen thun könne; es sei ein Gemüth so voll guten Vorsatzes, als es will, so ist es doch in der Gefahr nicht versichert; die Seele aber hat keine größere Gefahr, als wenn sie Gelegenheit und Gesellschaft zur Sünde findet. Hier wirft man ihr nicht stracks ein großes Schiffseil an den Hals, sie niederzureißen, sondern verstrickt sie mit subtilen Netzen und Fäden, daß sie fällt, ehe sie es merkt; man setzt ihr nicht den bloßen Degen an die Gurgel, sondern man trinkt ihr zu aus güldenen Schalen, bis sie das süße Gift beschleicht und ihr alle Kräfte benimmt. Woher kommt heutigen Tags alles gottlose Wesen in der Welt, als weil ein Mensch den andern unter dem Schein der Freundschaft und Höflichkeit ansteckt und verleitet? Man will nicht saufen, sondern lustig sein; man will nicht stolziren und prangen, sondern nur zierlich und nach seinem Stande sich kleiden; man will nicht tödten, sondern nur seine Ehre vertheidigen; man will nicht huren, sondern nur freundlich und höflich sein; man will nicht geizen und Unrecht thun, sondern nur die Seinigen versorgen; man will die h. Schrift nicht verwerfen oder ihre Wahrheit in Zweifel ziehen, sondern nur davon reden, und um bessern Verstand eines und anderes erläutert wissen. Hier überredet, hier ermahnt, hier treibt ein Mensch den andern, hier hilft einer dem andern, und läuft doch am Ende nirgends hinaus, als auf Sünde, Schande, Sicherheit und Gottlosigkeit, daß man nichts glaubt und sich doch stellt, als glaubte man alles. Darum traut nicht allen Leuten und Orten! Die Vielheit weltlich gesinnter Freunde ist nichts anders, als eine lustige Gesellschaft, die einem die Zeit vertreibt, auf dem breiten Wege, der zur Verdammniß führt. Die Gelegenheit aber und Veranlassung zur Sünde ist die Handhabe, dabei man die Sünde erfaßt, es ist die Angel mit einigem Vorwand verdeckt, damit der Satan viel tausend wohlmeinende Gemüther fängt. Und wie eines Hungrigen Begierde gemehrt wird, wenn er den Geruch schmackhafter Speisen empfindet, so wird die Sündenbegierde in dem verderbten Herzen erregt und verstärkt, wenn es durch einige Veranlassung gereizt wird. Mancher wäre nicht gefallen, wenn er nicht aufs Eis gegangen wäre. Jener närrische Jüngling wäre der Hure in die Netze nicht gefallen, wenn er nicht in der Dämmerung auf dem Wege an ihrem Hause sich hätte finden lassen. Sprüchw. 7, 7. Kluglicher handelte der keusche Joseph, der, als er der unzüchtigen Begierden des Weibes seines Herrn kundig geworden, nicht nahe bei ihr schlafen oder um sie sein wollte. 1. Mos. 39, 10. Jener Mensch bildete sich ein, er wäre von Glas, und hütete sich aufs fleißigste, daß er nicht woran stieße, damit er nicht zerbreche. Das war Thorheit. Ich wollte wünschen, daß wir uns fest einbilden könnten, daß alle unsere Frömmigkeit nur ein Glas wäre, damit wir vorsichtig und behutsam wandeln möchten; das wäre Klugheit. Ach, mein Gott! was ist auch mein Gemüth anders, als ein Zunder, der allerlei Funken leicht säht, als eine Klette, die allenthalben anklebt? Behüte mich, mein Vater! vor Gelegenheit zu sündigen, führe mich durch einen Weg zum Himmel, da die wenigsten Anstöße sind; mache mich einfältig, albern, blind und taub, daß ich der sündlichen Reizung nicht wahrnehme und der Welt Schmeichelei nicht verstehe! Ach, wer erst hindurch wäre
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