Das Unkraut

Gotthold sah einen Nesselstrauch an einem nicht gehörigen Orte stehen, und als er denselben auszureißen bemüht war, empfand er daß viel Erde mit folgte, weil dies Unkraut sich mit vielen Wurzeln und Fasern darinnen befestigt hatte. So gehts, dachte er, mit unserer Bekehrung zu. Wenn Gott das Lasterkraut aus unsern Herzen reißen will, ach, wie fest hat sichs darinnen gesetzt! wie ists mit so vielen Wurzeln der bösen Lust befestigt und hat sich allenthalben durchgeflochten! Da kanns wol nicht anders sein, es muß ein Stück vom Herzen mit fortgehen, ich will sagen, es kann ohne Schmerzen, ohne Angst, ohne Weh nicht zugehen. Aber was hilfts? Das Unkraut, so oben abgerissen wird, schlägt bald wieder aus, aber wenn Wurzel und alles weg ist, so kann man sicherlich etwas Gutes an die Stelle pflanzen. Also ists umsonst, wenn wir durch einen unbeständigen und gezwungenen Vorsatz uns selbst wollen fromm machen, und die böse Luft im Herzen behalten, die nur auf gut Wetter und Gelegenheit wartet, von neuem auszuschlagen. Darum reiß, mein Gott! reiß aus meinem Herzen die bittere Wurzel durch Mittel, die du gut befindest! Weh thuts dem sündlichen Fleisch; besser aber zeitlich, als ewig Weh.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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