Das Trinken hat den Sohn ermordet
Ein als enthaltsam bekannter Prediger, der auf dem Tische eines reichen Hauses stets zu seinem Bedauern Wein die Menge hatte stehen sehen, fand bei einem späteren Besuch die Tafel von Weinflaschen und -gläsern leer. Als er die Hausfrau nach Tisch nach dem Grunde dieser für ihn erfreulichen Veränderung fragte, erzählte diese bekümmert: "Sie kannten doch unsern Willi? Er war mein Stolz. Sie wissen, die Kinder waren immer mit dabei, wenn ich die Geistlichen der Umgegend einmal zu uns eingeladen hatte. Sie durften dann länger aufbleiben und während die Geistlichen und mein Mann jeder ein ganzes Glas Wein vorgesetzt bekamen, durften die Kinder ein halbes Glas trinken. Mit der Zeit merkte ich, dass mein Willi nach Wein roch, wenn er nach Hause kam. Ich warnte ihn, doch er sagte stets, es sei keine Gefahr für ihn vorhanden, er sei nur mit einigen Freunden zusammengetroffen. Bald jedoch merkte ich es seiner Stimme an und dann kam er bisweilen in einem Zustand nach Hause, der mir im Herzen weh tat.
An einem Abend kam er ganz betrunken nach Hause. Ich konnte es vor seinem Vater nicht verbergen. Sein Vater ist ein aufgeregter Mann. Er trat ihm auf dem Korridor entgegen und es fielen bittere Worte. Sein Vater sagte zu ihm, er solle das Haus verlassen und Willi ging und monatelang haben wir nicht gewusst, was aus ihm geworden sei. Vater gestattete uns nicht einmal, seinen Namen zu nennen und ich und meine Schwestern konnten nichts tun, als für ihn beten. Wir wussten nicht, ob er tot oder am Leben war.
Eines Abends jedoch, als die Dienstboten bereits im Bett waren und wir beieinander saßen, hörte ich plötzlich ein Klopfen und mir schien, als hörte ich Willis Stimme. Ich wagte nichts zu sagen. Mein Mann sah sich um und sagte: "Hast du etwas gehört? Ich meinte, ich hörte eine Stimme. Ich glaube," sagte er, "es ist Willi. Gehe doch mal zur Tür und sieh zu!" Ich ging zur Tür und da stand er, mehr wie ein Geist als ein junger Mann. Er schaute auf und ich sagte: "Willi!" - "Mutter," sagte er, "willst du mich einlassen?" - "Ja, mein Junge, du hättest niemals wegzugehen brauchen; komm herein", und ich musste ihm den Arm leihen. "Bringe mich nicht ins Wohnzimmer, bringe mich in die Küche. Mir ist, Mutter, als müsste ich sterben." - "Nein, mein Junge," antwortete ich, "du sollst nicht sterben!" - "Willst du mir nicht einen Teller Gerstensuppe machen, Mutter, wie du es früher getan hast?" - "Ich will alles für dich tun, mein Junge, aber du musst dich inzwischen zu Bett legen." - "Oh, Mutter, ich kann nicht, mir wird so schlecht." - Ich rief seinen Vater und er kam; aber er sagte kein böses Wort zu ihm. Er konnte es nicht, als er den Zustand sah, in dem sich Willi befand. Wir trugen ihn nach oben, legten ihn aufs Bett und nach einer kleinen Pause sagte er: "Vater, das Trinken hat mich umgebracht." - "Nein, mein Junge," sagte sein Vater; "wir werden dich noch wieder zurechtbringen." - "Niemals, Vater - Gott sei mir Sünder gnädig!" Und sein Haupt fiel zurück und das Leben unseres Jungen war zu Ende. Sein Vater stand und schaute auf Willi, wie er so dalag und sagte zu mir: "Mutter, das Trinken hat unseren Willi gemordet und es soll jetzt, solange ich lebe, kein Tropfen Wein mehr in unserem Hause zu finden sein."
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