Das Taschentuch als Leichentuch
Ein württembergischer Geistlicher verließ nach 20-jähriger Arbeit seinen Wirkungskreis, um in eine andere Gemeinde zu ziehen. Durch einen besonders ernsten Fall wurden ihm die letzten Tage, die er bei seiner Gemeinde verlebte, unvergesslich. In jenem Orte lebte ein Spötter, der ihm das Leben sauer gemacht hatte. Er hatte im Wirtshause stets das große Wort geführt und war mit seinem Hohn über alles, was einem Christenmenschen heilig ist, hergefahren. Der Geistliche hatte ihn deshalb wiederholt verwarnt, aber nichts ausgerichtet; jener hatte es nur um so ärger getrieben. Nun nahte der Tag der Trennung. "Weib," sagte jener Held der Wirtshausunterhaltung, als er eines Abends angeheitert aus dem Kreise seiner Genossen zurückkehrte, "in acht Tagen hält unser Pfarrer seine Abschiedspredigt, da reichen meine Taschentücher nicht aus, da richtest du mir ein Leintuch her, das will ich voll heulen."
Doch es sollte anders kommen. Am Mittwoch vor der Abschiedspredigt kam der lustige Bruder etwas unwohl nach Hause und schon am Donnerstagabend war er eine Leiche. Das Leintuch aber, das er bestellt hatte brauchte er selber; sein Leichnam wurde darin eingewickelt. An demselben Sonntage, an dem der Geistliche seine Abschiedspredigt hielt, wurde er beerdigt. Der Geistliche hatte nicht nötig, auf den Ernst des Todes hinzuweisen; die ganze Gemeinde fühlte ja sowieso schon, was geschrieben steht: "Irret euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten", und: "Wohl dem, der nicht sitzt, da die Spötter sitzen!"
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