Das Stimmen

Gotthold fand einen seiner guten Freunde geschäftig, seine Laute zu stimmen; als nun derselbe damit viele Mühe hatte, sagte er: Ein Christ läßt sich mit einer Laute gar füglich vergleichen. Denn die Laute ist von schlechtem und schwachem Holz gemacht und hat selbes nicht ihm, sondern der Hand des Künstlers es zu danken, daß es zu einem so schönen Instrument gediehen ist. Also hat ein Christ vor andern Menschen, was die Schwachheit und das Verderben der Natur betrifft, keinen Vorzug, ohne daß die Hand des barmherzigen Gottes ihn zum Werkzeug seiner Gnade zugerichtet hat. Wie nun aber eine Laute mit Saiten muß bezogen, wohl gestimmt und geschlagen werden, also muß der Finger Gottes eines Christen Herz mit guten Gedanken erfüllen und dieselbe zu seines Namens Ehre und gemeinem Nutzen stimmen und einrichten. Und gleich wie eine Laute, so ein schönes Instrument sie auch ist, sich oft verstimmt und also stetiger Aufsicht bedarf, so gehts mit unserm Christenthum auch, welches, oft vom Teufel, der bösen Welt und unserm eignen Willen verstimmt, übel klingen würde, wenn nicht die Gnadenhand des Höchsten es regierte und täglich daran besserte. Lasset uns aber hiebei auch unserer eigenen Gebühr uns erinnern. Wenden wir solchen Fleiß an, eine Laute zu stimmen, damit sie in Menschenohren nicht mißhällig sei, Lieber, warum bemühen wir uns auch nicht, unsere Gedanken, Worte, Werke also zu stimmen und zu stellen, daß sie Gottes allerheiligsten scharfen Augen und Ohren nicht mißfallen? Wir hörens bald und bezeugen unsern Ungefallen, wenn nur eine Saite nicht gleichstimmig ist, und werdens oft nicht gewahr, achtens auch nicht, wenn unser Leben und Wandel von den heiligen Geboten Gottes so weit abgehet. Man sagts bald, wenn eine Saite dissonirt oder mißlautet, Lieber, lasset uns einander auch freundlich erinnern, wenn wir einen Uebelstand und Mißhalligkeit im Christenthum vermerken. Denn die Eigenliebe und Sicherheit giebt oft nicht zu, daß einer seine Fehler selbst wahrnehmen kann; darum ist rathsam, daß man einem gottseligen und getreuen Herzen die Freiheit guter und bequemer Erinnerung lasse und für gut aufnehme, wenn es uns einen bessern Weg zeigt. Die Freundschaft, welche die Gottseligkeit nicht zum Grunde hat, ist des Namens nicht werth und läuft auf ewige Feindschaft hinaus. Mein Herr Jesu! stimme, regiere und gestalte mein Leben, daß es mit deinem Leben einstimme. Zwar einen so hohen Zug, daß ich deine Vollkommenheit erreichen sollte, können meine schwachen Saiten nicht aushalten; ich tröste mich aber, daß, wie auf dieser Laute hohe und niedrige Chöre sind, also du starke und schwache Christen hast und mit allen zufrieden bist, nur daß sie nicht falsch erfunden werden.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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