Das Stäublein im Auge
Einem Kinde war unter dem Spiel ein Stäublein ins Auge gefallen, welches es lange rieb und wischte, aber damit nichts ausrichtete, als daß es die Schmerzen vermehrte und das Auge triefend und feuerroth machte, darum es endlich klagend zum Vater kam; der legte eine kleine Perle hinein, hieß das Kind das Auge zuthun und etliche mal herumwälzen, darauf die Perle herausfiel, an der das Stäublein klebte. Darüber hatte Gotthold die Gedanken. Das Auge, sagte er, ist des ganzen Leibes Licht, welches alles faßt, was ihm vorkommt, nur sich selbst sieht es nicht; es ist aber ein gar zartes Glied, welches, wie dieses Kind bezeugt, auch nicht ein Stäublein leiden kann, sondern thränt und schmerzt, bis es dessen los wird. Dies ist ein eigentliches Bild des Gewissens, welches, ob es wohl die Menschen oft nicht beobachten, alles weiß, faßt und gleichsam verzeichnet; es thuts dem Auge darinnen zuvor, daß dieses nur bei Tag, jenes auch bei Nacht sieht und alle Werke der Finsterniß in genauer Obacht hält. Nun dünkt manchem die Sünde nur ein Stäublein zu sein, zuvörderst, wenn er von falschem Wahn, Eigenliebe und Sicherheit eingenommen ist. Aber, ach, mein Gott! was kann ein solches vermeintes Stäublein Schmerzen und Angst im Gewissen verursachen! Wie sticht es! Wie thränt es! Und ist da keine Hülfe, du gnädiger Gott! als bei dir. Mein Herr Jesus ist die edle Perle, Matth. 13, 46.; die legst du in unser verletztes betrübtes Herz, die nimmt alle Sünde und Sündenschmerzen hinweg, und so finden wir Ruhe für unsere Seele und kriegen Lust, dir mit fröhlichem Herzen zu dienen. Hilf, mein Gott! daß ich allezeit behutsam und vorsichtiglich wandle und mich vor Verletzung meines Gewissens durch deine Gnade hüte!
© Alle Rechte vorbehalten