Das Spielhölzlein

Unter andern Spielen der Kinder ist ein viereckiges Hölzlein bekannt, welches auf einer Seite das Wort Omnia, auf der andern das Wort Nihil, auf der dritten das Wort Pone, auf der vierten das Wort Trahe geschrieben hat, zu bedeuten, daß, wie einem jeden, der mitspielt, im Herumwerfen eine Seite fällt, er entweder alles oder nichts wegnehmen, zusetzen oder die Hälfte wegziehen solle. Als nun Gotthold etliche Knaben über diesem Spiele geschäftig sah, sagte er bei sich selbst: so recht, liebe Kinder; gewöhnt euch nur von Jugend auf daran, daß euch der Welt Eitelkeit, Unbeständigkeit und plötzliche Veränderung nicht fremd vorkomme. Manchem gelingt alles wohl, und er hat alles, wie ers wünscht; einem andern geht nichts wohl von Statten, und hat nichts, als was ihm Kummer und Herzeleid macht. Einem will das Glücksspiel wohl, daß er immer zu sich nimmt und sammelt, ein anderer muß immer zubüßen und zerstreut. Es ist aber zwischen den Glücks- und Unglücksfällen ein geringer Unterschied und verwechselt sich alles und nichts so leicht, als dies euer Hölzlein herumfällt. Die Juden berichten, daß König David soll haben eine Münze schlagen lassen, da auf einer Seite ein Hirtenstab und Tasche, auf der andern die königliche Burg Zion mit ihren Thürmen gebildet war; imgleichen, daß Mardochai nach seiner wunderlichen Erhöhung Pfennige habe prägen lassen, welche auf einer Seite einen Sack mit Asche, auf der andern eine köstliche Krone gezeigt. Dies haben sie zweifelsohne darum gethan, daß sie sich selbst ihres Herkommens und zuvor gehabten schlechten Standes erinnern, andere aber lehren möchten, daß zwischen einer königlichen Burg und Krone und zwischen einem Sack und Hirten- oder Bettelstab nichts sei, als das Umwenden. Darum denket allezeit daran, daß das Weltwesen ein solches Spiel ist, und wenn euch alles fällt, so erhebt euch nicht; fällt euch nichts, so verzaget nicht; müsset ihr einmal zubüßen, es kann bald kommen, daß ihr wieder wegnehmet. Niemand ist seines Zustandes versichert, als der aus der Eitelkeit zur Ewigkeit wandert. Mein Gott! alles ist unbeständig, nichts ist dauerhaft ohne deine Gnade. Ich will gern das Zeitliche zusetzen, laß mich nur das Ewige gewinnen. Ich getröste mich, daß das Glückspiel, wie wirs nennen, bei dir kein Spiel ist, daß auch weder dieses, noch jenes mir fällt ohne deinen weisen Rath und gnädigen Willen. Fällt mir denn alles, so soll alles deiner Ehre dienen; fällt mir nichts, so frage ich, wenn ich nur dich habe, nichts nach Himmel und Erde. Ps. 73, 25. Ich will dennoch auf Gewinn und Verlust über die zeitlichen Dinge mitspielen, so lange es dir gefällt; mein bester Gewinn aber ist keiner ungewissen Veränderung unterworfen.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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