Das Schweigen

Als in einer Gesellschaft ein frommer Mann meist stille saß und wenig redete, sagte einer: Wie so stille? Gotthold antwortete: er möchte dawider fragen: wie so laut? Meint ihr nicht, daß oft Schweigen und Stillesein besser ist, als viel Reden? Jener weise Heide, als er seine Tagesstunden nach seinen Geschäften eintheilte, hat eine gewisse Zeit zum Stillschweigen sich selbst vorgeschrieben, welches billig wir Christen ihm sollten nachthun; wir sollten billig allesammt einige Zeit des Tages den weltlichen Geschäften, Gesprächen und Ergötzlichkeiten entziehen und dieselbe zum Gebet, zu göttlichem heiligem Nachsinnen und zur Stille anwenden. Mancher lernt mit großer Müh und vielen Kosten reden, ein Christ hat genug zu thun, daß er in der Schule des H. Geistes und des lieben Kreuzes schweigen lernt. Eine merkliche Redensart ist es, die im 65. Psalm V. 2. steht: Gott, man lobt dich in der Stille zu Zion, oder, wie es etliche übersetzen: Dir schweigt der Lobgesang in Zion, oder: Die Stille vor dir ist dein Lobgesang in Zion; womit angedeutet wird, daß man auch, wenn man sich in der Stille über Gottes Wunder und Werke verwundert und seine verborgenen Seufzer zu ihm aufschickt, ihn loben und preisen könne. Es ist auch eine schwere Lektion, die der königliche Prophet vor sich nimmt, wenn er spricht: Ich will schweigen und meinen Mund nicht aufthun, du wirsts wohl machen! Ps. 39, 10., da er sich vorsetzt, er wolle weder äußerlich, noch innerlich dem heiligen Rath und Willen seines Gottes widersprechen, er wolle ihn lassen machen und des Ausgangs mit Geduld und guter Hoffnung erwarten. O wie schwer ist dies unserer Vernunft, die immer mit einrathen will! O wie übel kann Fleisch und Blut schweigen, wenn Gott so widersinnig mit den Seinigen umgeht! „Wenn er sie will fromm machen, so macht er sie zu verzweifelten Sündern; wenn er sie will klug machen, so macht er sie zu Narren; wenn er sie will stark machen, so macht er sie schwach; wenn er sie will lebendig machen, so steckt er sie dem Tode in den Rachen; wenn er sie will in den Himmel führen, so senkt er sie in den Abgrund der Hölle.“ (Luther.) Welches die lieben Alten mit dem nachdenklichen Lehrgedichte, das auch Luther seiner Feder gewürdigt hat, von Hans Priem, dem Fuhrmann, haben anzeigen wollen, der in das Paradies gelassen ward mit dem Beding, daß er nichts, wie sonst seine Gewohnheit war, sollte bemeistern und beklügeln. Er sah, daß zween Engel einen Balken in die Quer trugen und allenthalben damit anstießen, und schwieg stille; er sah, daß zween andere aus einem Brunnen Wasser schöpften und gossen es in ein durchlöchertes Gefäß, er verwunderte sich, schwieg doch stille; er sah dergleichen viel und verbiß das Lachen und Reden aus Furcht, er möchte wieder aus dem Paradies gestoßen werden; endlich aber sah er einen Fuhrmann, dessen Wagen im tiefen Koth und Schlamm war stecken geblieben, der zwei Pferde vor, zwei aber hinter den Wagen hatte gespannt und trieb sie zugleich an; dies konnte er, weil es seine Profession, nicht unbemeistert lassen, und es ward ihm darauf das Paradies wieder zu räumen angekündigt. Darum laßt uns schweigen lernen und unsern Gott in seinen Wegen nicht meistern. Reden war nie so gut, spricht ein alter Lehrer, Schweigen wäre besser. Allein, wo komme ich hin? Indem ich das Schweigen preise, mache ich selbst viel Redens. Mein Gott! lehre mich zu rechter Zeit reden und schweigen.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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