Das schönste Bild
Ein kunstreicher und gottseliger Maler ließ Gottholden ein Stück sehen, darinnen der Herr Jesus sein Kreuz haltend mit offnen bluttriefenden Wunden gar artig vorgestellt war. Zu seinen Füßen lagen mit großer Kunst gemalt der König David, die Sünderin, deren im 7. Capitel Lucä gedacht wird, die man gemeiniglich Maria Magdalena nennt, der Schächer am Kreuz in kläglicher Gestalt, der verlorne Sohn und andere, über welche das Blut Jesu herabfloß, und er segnete sie mit ausgestreckter Hand. Gottholden gingen die Augen über und sagte: Ich muß noch einmal mit euch handeln, daß ihr mir dergleichen Bild verfertigt und mich mitten unter dieser Gesellschaft malt. Ach, ich bedarf meines Herrn Jesu und seines h. Bluts auch; ich will mich lassen abdrängen, ich will zurück stehen, wenn die Welt Kronen und Scepter austheilt, wenn sie Gold oder Silber auswirft, wenn sie Schauspiele halt und jedermann zuläuft; aber wo mein Jesus seine Gnade und Blut austheilt, da lasse ich mich nicht abdrängen, meinen Jesum laß ich nicht. Wer diesem süßen Heilande nicht will zu Füßen liegen, der wird dem Teufel müssen unter den Füßen liegen ewiglich. So Jemand den Herrn Jesum Christum nicht lieb hat, der sei verflucht, sagt sein werther Apostel und ich mit ihm. 1. Cor. 16, 22. Damit aber ihr, fuhr er fort, mir diese Freude nicht umsonst gemacht habt, so sagt mir, was dünket euch, wann ist der Herr Jesus am schönsten gewesen? Der antwortete: Ohne Zweifel in seiner Kreuzigung, da er um unserer Sünde willen am kläglichsten war zugerichtet und anzusehen. Wohl, sagte Gotthold, ihr habt nicht uneben geantwortet, denn ich verwundere mich mehr über ihn, wenn ich ihn im Geist betrachte am Kreuz hängend, mit Blut überflössen, voller Striemen und Wunden, als wenn ich ihn in seiner Herrlichkeit zur Rechten Gottes sitzend anschaue! Am Kreuz war er recht schön, denn er gefiel seinem himmlischen Vater in dem Purpur seines h. Bluts so wohl, daß er alles Zorns darüber und aller Welt Sünde vergaß; wenn er hätte ein Kleid angehabt mit Diamanten und Perlen über und über versetzt, so hätte es der Himmel nicht angesehen, und ein betrübtes Gewissen würde keine Schönheit für sich darinnen finden; aber, wie schön ist der blutende, gekreuzigte, verwundete Jesus, wenn man ihn mit blutendem Herzen und thränenden Augen ansieht! Dies ist zwar der Welt Spott, aber der Engel Lust, der Teufel Schreck, der Menschen Schmuck, Trost, Schatz und alles! Ich will euch aber meine Gedanken auch eröffnen; mich dünkt, dann ist mein Jesus am schönsten, wenn er so ist, wie ihr ihn hier gemalt habt, wenn er nämlich mitten unter den Sündern steht und die Frucht seines vergossenen Blutes unter sie austheilt. Schön ist er in der Erwerbung unsers Heils, aber noch schöner in der Austheilung und Zueignung. Wenn sein theures Blut die Sünder wirklich reinigt und er sieht, daß sein bitteres Leiden an ihnen nicht verloren ist, das ist seine höchste Freude in der himmlischen Freude, dann ist er am schönsten anzusehen, alsdann verwundern sich alle Einwohner des Himmels über ihn und singen: Du bist würdig zu nehmen Kraft und Reichthum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob, denn du bist erwürget und hast uns erkauft mit deinem Blute. Offenb. 5, 9. 12. Und so, wie er hier steht, sollte man ihn an allen Altären in der Kirche bilden, wo sein h. Liebesmahl gehalten wird, welches ohne Zweifel darum vornehmlich von ihm uns hinterlassen worden, daß er darinnen den Schatz seines Verdienstes und Blutes unter uns austheilen, einem jeden sich selbst schenken und alle und jede mit seinem lebendig machenden Blut besprengen möchte. Als nun Gotthold das Bild noch einmal ansah, sagte er mit thränenden Augen: O Jesu! du schönster unter den Menschenkindern! wie lieb! wie schön! wie theuer bist du meiner Seele! O ein elender Mensch, wenn er auch ein Beherrscher der Welt ist, der dich nicht achtet und sein Haupt nicht willig zu deinen Füßen legt! Ich sage von Grund meines Herzens, daß ich es für meine höchste Ehre in dieser Welt halte, wenn ich dir mag zu Füßen liegen; mir ist besser an deinen Füßen, als wenn ich auf einem königlichen Thron sollte sitzen.
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