Das schlafende Kind
Gotthold fand ein kleines Mägdlein auf dem Vorhofe seines Hauses unter freiem Himmel liegend, da es über seinem Spiel eingeschlafen und sanft ruhete. Ach, dachte er, wie gute Tage hast du! Wie süß ist dein Schlaf! Wie sanft deine Ruhe! Du schläfst süßer auf der harten Erde, als mancher Gcizwanst und Weltling auf seinem weichen Bette! Was machts? Du hast einen gnädigen Gott und ein gutes Gewissen, du weißt von keiner Sorge und bekümmerst dich weder um dies, oder jenes; wenn du aufwachst, so spielst du wieder an oder suchst ein Butterbrod für den Hunger. Mein Gott! warum bin ich nicht auch so? An dir fehlts nicht; deine Gnade und väterliche Fürsorge waltet sowohl über mich, als über dieses Kind; ich bin, wo ich bin, ich thue, was ich will, so bin ich in deine göttliche ewige Vorsehung eingeschlossen, so dürft ich nur alles, was mir meinem Beruf nach obliegt, gleichsam spielend mit Freuden und in gutem Vertrauen zu dir verrichten und hernach auf meinem Lager sein saust schlafen und dich, du Hüter Israel! lassen sorgen und wachen. Allein an mir fehlts, ich will nicht allezeit ein Kind sein vor dir, sondern ein kluger Mann, ich will mit sorgen und mit einrathen, ich will dir helfen, die Welt und die Kirche regieren, ich will meine und der Meinigen Wohlfahrt durch meine Gedanken und Rathschläge befestigen; darüber verschwindet der Seele oft auch des Leibes Ruhe, und ich kann manchmal im weichen Bette nicht haben, was dieses Kind auf harter Erde gefunden hat. Nun ich gestehe, mir geschieht eben Recht, ich mache mir selbst Unruhe und richte nichts aus, denn du kehrst dich wenig an mein Einrathen, und es geht selten so, wie ich es in meinen schlaflosen Nächten gemeint und gut befunden habe. So soll denn nun dies Kind mein Lehrmeister sein; ich will mich nicht schämen, von ihm die Einfalt, die Lauterkeit, die Gelassenheit und Zufriedenheit zu lernen. Und wie wohl wird mir sein, wenn ich hierin etwas werde gefaßt und fortgebracht haben! Ich gedenke hiebei an einen löblichen Herzog von Würtemberg, Eberhard genannt, welcher, als in einem Gespräch etlicher deutscher Fürsten ein jeder die Herrlichkeit seines Landes rühmte und einer seine guten Weinberge, der andere seine Jagden, der dritte seine Bergwerke lobte, zuletzt anfing und sprach: Ich bin zwar ein armer Fürst und weiß mich in diesen Stücken keinem zu vergleichen, doch aber hab ich ein solch edles Kleinod in meinem Lande, daß, wenn ich mich auf weitem Felde oder im wilden Walde verirrt hätte, wäre ganz allein und träfe einen meiner Unterthanen an, so möchte ich ihn wohl heißen auf die Erde niedersitzen, könnte mein Haupt in seinen Schooß legen und sanft einschlafen ohne Furcht, daß mir ein Leid sollte widerfahren. Dies war ein recht fürstliches Kleinod. Dieses Kind hat nach seiner Art ein gleiches, daß es sich nämlich hinlegt, wo es zukommt und sanft schläft. Ich habe ein besseres, nämlich, daß ich darf mein Haupt und Herz in Gottes, des himmlischen Vaters, Schooß und auf die Brust meines Herrn Jesu legen und wohl zufrieden sein trotz dem Teufel und der Welt, daß sie mir einigen Schaden zufügen. Ich beklage nur, daß ich mich dieser meiner Glückseligkeit nicht allezeit weiß recht zu bedienen; es geht mir wie einem Kinde, das mit einem Scheusal erschreckt ist, welches, ob es wohl zu der Mutter Schooß und Armen Zuflucht genommen und sicher ist, doch noch tief seufzt, zuweilen erschrickt und auffährt, bis es sieht, daß es wohl verwahrt ist. In diesen Gedanken spricht, mein Gott! dein Prophet, Ps. 4, 9.: Ich liege und schlafe ganz mit Frieden; welches ich so verstehe: wenn ich mich niederlege, so will ich nicht lange liegen und mich mit sorglichen Gedanken plagen und mir meine Ruhe verstören, sondern will stracks in deinem Namen einschlafen. So habe ich denn heute gelernt, mein Gott! daß sanft und ruhig schlafen eines Christen Kunst und deine Gunst sei.
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