Das Reisen
Es redete ein Vater mit Gotthold, der seinen Sohn eine Weile auf hohen Schulen unterhalten hatte, daß er nunmehr Willens wäre, denselben reisen zu lassen, und daß er zuerst in Frankreich, hernach auch nach Wälschland, England und in die Niederlande gehen sollte, und bat deshalb ihn mit ins Gebet zu nehmen. Gotthold antwortete: Ich gestehe, ihr habt Ursache, nicht allein selbst für euer Kind bei solcher Gelegenheit eifrigst zu beten, sondern auch anderer frommen Herzen Fürbitte zu Hülfe zu nehmen. Ich will nicht in Abrede sein, daß das Reisen durch fremde Lande, wenn es mit heiliger Vorsichtigkeit in der Furcht Gottes geschieht, seinen großen Nutzen hat und erfahrne, kluge Leute macht. Die Alten haben gesagt, die Weisheit wäre wie der Honig, welchen die Imme aus vielen Blumen zusammen trägt und oft von Weitem holt; die Wasser, so durch viele Steine und Schrotfand ihre Gänge haben und über viele Kiesel rauschen, hält man für die lautersten und besten; also legt mancher durch das Reisen und durch den Umgang mit tapfern, höflichen und klugen Leuten, ingleichen durch viele widrige Begegnisse, so einem auf Reisen aufstoßen, viele Unart ab. Ein Kraut, das in einem schattigen, finstern Ort und im Keller wächst, hat die Art nicht wie ein anderes, das unter freiem Himmel steht und mit Sonnenschein, Regen, Wind und rauher Luft wechselsweise vorlieb nehmen muß. So läßt sich der Unterschied unter einem, der zu Hause hinterm Ofen stets gesessen, und einem andern, der gereiset hat, bald wahrnehmen. Allein, wenn ich das Reisen bei dem heutigen Zustand der Welt, sonderlich in den Landen, davon ihr mir gesagt, betrachte, so weiß ich fast nicht, ob einer mit gutem Gewissen und ohne Abbruch seines Christenthums selbst reisen oder die Seinigen reisen lassen könne und ob nicht besser sei zu Hause bleiben und Gott und seinem Nächsten in der Stille und Einfalt dienen, als viele Länder durchreisen und ein atheistisch, gottloses Herz und gekränktes Gewissen mit zu Hause bringen. Es sagte einmal ein weiser Mann, der auch viel gereiset hatte: er hätte nichts von seinen Reisen, als einen leeren Beutel, verderbten Magen und verletztes Gewissen. Was ist die Welt heutiges Tages fast anders, als eine allgemeine Wechselbank, in welcher Geld die Losung ist; der Eigennutz, die Gewinnsucht, spricht der kluge Niederländer, ist gleich dem fünften Evangelio des verbannten (irrigen, rasenden) Christenthums, der große Abgott der Welt, welchen viele Tausend ehren und anbeten. Wo nun ein Reisender hinkommt, da wird er nicht geachtet nach der Tugend seines Gemüths, sondern nach der Schwere seines Beutels; er wird nicht geliebt, geehrt, bedient, sondern sein Geld, und würde mancher stolze Ausländer die deutsche Bestie nicht ansehen, wenn sie nicht Geld hätte. Die Welt ist ein großes Wirthshaus, darinnen der Teufel der Wirth und viele gottlose Menschen die Gäste sind. Was ist die heutige Welt? was sind die fremden Länder und meisten Städte, als eine große Werkstatt der Bosheit, ein allgemeines Hurenhaus, eine Schule des Satans, darinnen der Atheismus und allerlei lose Händel gelehrt und gelernt werden? Wie ein Schaf nicht kann unter den Dornen- und Klettenbüschen weiden, daß es nicht sollte Wolle lassen und voller Kletten werden, so kann jetzt schwerlich ein junger Mensch reisen, daß er nicht sollte geärgert, verführt, betrogen und verderbt werden und eine mit Sünden beschwerte Seele mit zu Hause bringen. Darum, weil euer Sohn ja reisen soll, so gedenkt, daß ihr ein Schaf mitten unter die Wölfe sendet, und betet desto heftiger und eifriger für ihn. Unterlasset auch nicht, ihn mit ernstlichen und sehnlichen Worten in allen Briefen zur Gottesfurcht und Beobachtung seines Taufbundes und seines Gewissens zu ermahnen. Mein Herr Jesu! ich reise täglich durch die Welt zum Himmel, wo mein rechtes Vaterland ist; begleite du mich, und hilf mir durch! ich wills dir danken in Ewigkeit.
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