Das neue Haus
Als Gotthold ein neugebautes Haus besichtigte, fragte er den Wirth und etliche andere, welches sie für das beste Gemach im selbigen Hause achteten? Darauf fielen unterschiedliche Beantwortungen. Einer sagte: er hielte es mit der Stube, die fein hoch, licht und leicht zu heizen wäre. Andere merkten, daß die Frage ein weiteres Aussehen hätte, und sagten, theils die Küche wäre das Beste, als daraus die Speise zum Unterhalt der Einwohnenden käme, theils der Keller, daraus man einen frischen Trunk zum Labsal haben und sich sein zur Erhaltung allerlei Vorraths im Sommer und Winter bedienen könnte, theils die Schlafkammer, darinnen der durch Arbeit und Sorgen ermüdete Leib seine Ruhestätte findet. Gotthold sagte: Es muß auf diese Frage mancherlei Antwort fallen, darnach die Gemüther hier oder dort hin geneigt sind. Ein Geiziger wird den Ort, wo er seinen Schatz aufbehält, ein Schlemmer die Küche, die Speisekammer und den Keller, ein Gelehrter sein Studierstüblein, ein Handwerksmann seine Werkstatt, ein Kaufmann seinen Laden für das beste Gemach seines Hauses halten; allein, ich frage vornehmlich, welches eines frommen und gottseligen Christen bestes Gemach sei, und sage darauf, es sei die Betkammer oder der Ort, da er sein Gebet zu Gott aufzuschicken pflegt, davon unser Erlöser spricht: Wenn du betest, so gehe in dein Kämmerlein und schließe die Thüre zu und bete zu deinem Vater im Verborgenen, und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dirs vergelten öffentlich. Matth. 6, 6. Ein solcher Ort ist wie das Heiligthum im Hause, daraus als aus einer Quelle aller Segen in alle Winkel fließen und geleitet werden muß. Ueber einem solchen Kämmerlein oder Räumlein ist der Himmel offen; hier steht die Himmelsleiter, und die Engel Gottes steigen auf und ab; hier redet der Mensch mit seinem Gott als mit seinem Freunde; hier schüttet er sein Herz vor ihm aus; hier vertraut er ihm all sein Anliegen, hier schöpft er Trost in Trübsal und Freude in der Traurigkeit; hier steht die Bundeslade, um welcher willen das ganze Haus gesegnet wird, wie Obed Edoms, 2. Sam. 6, 11. Selig ist das Haus! gesegnet ist der Mann, wo dieses Kämmerlein wohl eingerichtet und wohl gebraucht wird! Ein armseliges Hüttlein, darinnen man fleißig betet, ist allen Pallästen aller Gottesverächter vorzuziehen. Mein Gott! mein Betkämmerlein ist, wo ich mein andächtiges Herz im Glauben zu dir richte; ich habe ja auch meinen Ort, da ich dich anzusprechen gewohnt bin, doch weiß ich, daß deine Güte an keinen Ort verbunden ist, und kann also mein Betkämmerlein allenthalben bauen.
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