Das Morgenbrot

Gotthold sah, daß eine gottselige Mutter ihre Kinder in einer Reihe morgens früh hatte vor den Tisch gestellt zu beten, da sie indessen ihnen von Brod und Butter das Frühstück bereitete und zugleich auf ihr Gebet Acht hatte. Solches gefiel ihm wohl und sagte: Es wäre zu wünschen, daß es in allen Häusern so gehalten würde, daß die Kinder das Morgenbrod mit dem Gebet und einer Arbeit, die ihrem Alter und Kräften gemäß, verdienen müßten. Die Parther haben ehemals ihren Kindern nichts gereicht, ehe sie mit Bogen und Pfeil sich geübt; bei den alten Deutschen haben sie das Frühstück mit einem Wurfspießlein verdienen müssen. Wie vielmehr sollen wir Christen unsere Kinder zu den Waffen der geistlichen Ritterschaft gewöhnen, damit sie von Jugend auf mit dem Satan und der bösen Welt zu streiten gewohnen. Die Russen oder Moskowiter sind zwar ein barbarisches Volk, bekennen sich jedoch zum christlichen Namen, wiewohl ihre Religion mit grober Unwissenheit und merklichen Flecken beschmutzt ist; die haben den Gebrauch, daß sie ihren Kindern von der Taufe an eines gewissen Heiligen Bildniß zuordnen, welches sie ihr Leben lang in Ehren halten und ihr Gebet vor demselben täglich verrichten müssen, und es bezeugt Olearius, daß er mit seinen Augen gesehen, daß eine Russin ihrem kleinen Kinde, das kaum gehen und reden konnte, nicht eher des Morgens hat etwas wollen zu essen geben, bis es sich neunmal vor ein Bild, das in der Stube gehangen, geneigt und allemal dazu gesagt: Herr, erbarm dich meiner! Ob nun wohl der abgöttische Bilderdienst nicht zu loben, so wäre doch unsern Christen eine solche andächtige Gewohnheit zu dem wahren Gott zu wünschen, und befürchte ich, daß diese einfältigen und übel berichteten Christen au jenem großen Gerichtstage auftreten und viele unter uns, denen es an Wissenschaft und Unterricht zur wahren Gottseligkeit nicht gefehlt und dennoch um dieselbe sich wenig bekümmert, verdammen werden. Darum fahrt fort, eure Kinder zu gewöhnen, daß sie zuerst des Morgens zu Gott im Gebet sich wenden und dafür seines göttlichen Segens und Schutzes den ganzen Tag mögen versichert sein. Denn so wir Gottes nicht achten, was achtet er unser? Er kann unser wohl entrathen.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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