Das Liebespaket von Tante Hanna

Ein Mann in Elberfeld hatte sich verschworen, wenn es Tante Hanna jemals einfallen sollte, seine Wohnung zu betreten, dann werde er sie die Treppe hinunterwerfen. Als sie das von den Leuten hört und dazu, dass die Familie sehr arm sei und für den kalten Winter nichts anzuziehen habe, macht sie von verschiedenen Kleidungsstücken ein großes Paket und bringt es seiner Frau, mit der Bitte, es ihrem Mann zu geben. Er macht es auf, findet einen gut erhaltenen Überzieher, ein paar Schuhe und verschiedene Kleidungsstücke. Wie er das sieht, sagt er: "Das ist nicht für mich, das ist für jemand anders, ich habe ja immer nur über die Frau geschimpft." 
Seine Frau versichert: "Es ist ganz gewiss für dich." 
Da sagt der Mann: "Frau, wenn das wahr ist, dann habe ich der Frau schwer unrecht getan. Ich will dir nicht mehr verbieten, zur Bibelstunde zu gehen. - Ich selbst gehe nicht mit, ich schäme mich zu sehr." Später ist er doch noch mitgegangen.
Nach: Busch, "Tante Hanna".

andere Version:
Tante Hanna, die Wohltäterin der Armen in Wuppertal, hatte bei ihren Armenbesuchen nicht selten einen harten Strauß mit frechem und gewalttätigem Unglauben zu bestehen. Da zeigte sich denn ihr christlicher Mut und ihre furchtlose Entschlossenheit. Eines Tages kam sie in einem der verrufensten Stadtteile Elberfelds zu einer sehr armen Familie. Der Mann, ein Trunkenbold schlimmster Art, der sich und die Seinigen ruinierte, trat ihr mit aufgehobener Axt entgegen. Doch nicht einen Augenblick verlor sie die Besinnung. Aus ihren stahlgrauen Augen schaute sie ihn so ruhig und eigentümlich an, dass er verwirrt den Arm sinken ließ. Aus ihrem Korb holte sie dann ein Stück nach dem ändern für sein Weib und seine Kinder heraus und legte es auf den Tisch. Zum Schluss kam auch etwas für ihn selbst. Die Liebe, die das Verlorene sucht, hatte es ihm zugedacht. Da ging ein Zittern durch den Mann. Das Beil entfiel seinen Händen, und er brach zusammen vor der schlichten, kleinen und doch so großen Frau. Aus dem Wüterich und Trunkenbold wurde ein geretteter, gläubiger Christ, der sich selbst und seine Familie glücklich machte. Die selbst­lose, auch die Feinde umfassende Liebe hatte ihn gewonnen.
aus "Neues und Altes"

Quelle: Er ist unser Leben: Beispiel- und Stoffsammlung für die Verkündigung, Martin Haug, 1941, Beispiel 824
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