Das Lehn
Es ward erzählt, daß in einer Stadt etliche Freihäuser nebst stattlichen dazu gehörigen Aeckern wären, damit vor Alters her etliche Geschlechter belehnt worden, doch mit dem Anhang, daß sie jährlich auf einen gewissen Tag in die Rentkammer einen Dreier bei Verlust des Lebens einbringen sollten. Als sich nun hierüber etliche verwunderten, sagte Gotthold: Die hohe Obrigkeit sucht hierin nichts, als daß ihre Lehnsleute ein immerwährendes Denkzeichen ihrer Pflicht haben, und, wem sie ihren Wohlstand zu verdanken, nicht vergessen möchten. Sonst ist freilich keine Gleichheit zwischen einem Dreier und einem stattlichen Gut, das jährlich etliche hundert Thaler tragen kann. Man findet aber dergleichen mehr in den Lehnsrechten und Geschichten. Kaiser Karl der Fünfte hat den Rhodiser Rittern die Insel Malta zu eigen gegeben mit dem Beding, daß sie ihm und seinen Nachfolgern, den Königen in Spanien und Sicilien, jährlich einen Falken sollen einliefern lassen. Ein Edelmann in Franken muß jährlich um Martini seinem Lehnsherrn einen Zaunkönig bringen. Andere müssen einen wilden Schweinskopf, andere einen Rosenkranz, andere eine Lerche auf einem Wagen angebunden, andere einen grünen oder blühenden Zweig liefern, ein anderer hat müssen in den Weihnachten ein Bündlein Holz zum Kamin seines Lehnsherrn tragen; ein anderer hat müssen seines Lehnsherrn Gemahlin ein Liedlein zu Ehren singen; einem andern ist obgelegen, zu gewisser Zeit die Frösche stillschweigen zu heißen, und was der seltsamen und lächerlichen Verbindlichkeiten mehr sind. Wer sieht hier nicht, daß die Obrigkeit nichts, als ein dankbares, stetiges Gedächtniß und Erkenntniß ihrer Müdigkeit den Untern hat einknöpfen wollen? Lasset uns aber hiebei uns erinnern, daß es zwischen dem allgewaltigen, reichen und gütigen Gott und uns Menschen nicht anders zugeht. Er ist der oberste Lehnsherr, bei dem alle Kaiser, Könige, Fürsten, Grafen, Edelleute, Bürger und Bauern zu Lehn gehen. Denn obwohl die Erde und alles, was darinnen ist, ihm zugehört, so hat er sie doch den Menschenkindern gegeben, Ps. 24, 1. 115, 16. Also ist niemand, der nicht Gottes Vasall und Lehnsmann sein sollte. Einem jeden ist ein Theil der Güter Gottes eingeräumt; dem einen ist viel, dem andern wenig zugelegt, nachdem es der Weisheit Gottes gefallen. Was fordert aber der Höchste für alle seine Güter, deren wir genießen? Ein weniges, einen dankbaren Seufzer, ein herzliches Lob seines preiswürdigsten Namens, ein fröhliches Lied zu seinen Ehren und eine und die andere geringe Gabe für den dürftigen Nächsten. Ach, schäme dich, undankbarer Mensch, wenn du dieses nicht willig lieferst! Was ist all dein Dank gegen Gottes Wohlthaten gerechnet? Und dennoch vergissest du so oft, dieses wenige zu leisten? Herr, mein Gott! ich bin auch dein Lehnsmann; viel hast du mir gegeben, wenig, ja nichts kann ich dir wieder geben, denn mein Dank, wie groß er ist, ist nichts. Nimm vorlieb, mein gnädigster Herr! mit meinem nichts; ich wollte dir gerne mehr geben, wenn ich mehr hätte.
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