Das Lämmlein
Es begegnete Gotthold zur Abendzeit einem Hirten, der hinter seinen Schäflein her ein Lämmlein trug, so im Felde geboren worden. Dabei erinnerte er sich alsofort seines guten Hirten Jesu Christi und gedachte, was Jesaias von ihm geweissagt hat, 40, 11.: Er wird seine Heerde weiden wie ein Hirte; er wird die Lämmer in seine Arme sammeln und in seinem Busen tragen und die Schafmütter führen. Und sagte darauf weiter bei sich selbst: nun so sei es ferne von mir, daß ich jemals glauben sollte, daß dieser Hirte sorgsamer und lieblicher mit seiner Heerde, als du, mein Herr Jesu! mit deiner Gemeine, die du dir mit deinem eignen Blut erkauft hast, sollte umgehen. Wolltest du nicht, mein getreuer Hirte! die zarten und schwachen Lämmlein tragen und ihrer warten, das Verlorne suchen, das Verirrte wieder bringen und das Verwundete verbinden, wie lange wolltest du eine Heerde haben? Mein Erlöser! wir sind Lämmlein und Schafe, das ist, flüchtig, schüchtern, einfältig, schwach und unvermögend, du aber bist ein getreuer Hirte, der alles sieht, weiß, vermag und kann; ließest Hu uns aus der Acht, wer könnte uns dann vor dem Verderben behüten? Ach, trage, mein Hirte! ach trage meine matte Seele! habe Acht auf mich, daß ich nicht zurückbleibe! Ich will dich dafür loben und preisen in Ewigkeit.
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