Das Kunstbild
Ein vornehmer Mann hatte ein Kunstbild, welches zwar, wenn man es so schlechthin, wie es auf einer länglichten Tafel entworfen war, ansah, nichts, als etliche grobe verworrne Farben und Striche vorzeigte, wenn man aber durch das auf einem Ende angefügte Perspektiv es betrachtete, ein Weibsbild mit einem Arm auf einen Todtenkopf sich stützend, an der Erde liegend und aus einem Buch, das vor ihr lag, mit thränenden Augen lesend ganz förmlich und eigentlich darstellte. Gotthold, als ihm solches vorgezeigt wurde, verwunderte sich darüber und sagte: Ich kann ungemeldet nicht lassen, was mir in Betrachtung dieses Bildes beifällt. Dieses Gemälde bildet gar artig ab, was es mit der göttlichen Vorsehung und allweisen Regierung aller Dinge für ein? Beschaffenheit hat. Sieht man dieselbe oben hin an und nach dem ersten Dünken, so scheint nichts verworrner zu sein und nichts unordentlicher, als die Regierung der Welt, daß sich nicht nur die Heiden, sondern auch wol die Christen daran gestoßen. Es geht, wie Salomo sagt: Ich wandte mich und sah, wie es unter der Sonne zugeht, daß zum Laufen hilft nicht schnell sein, zum Streit hilft nicht stark sein, zur Nahrung hilft nicht geschickt fein, zum Reichthum hilft nicht klug sein, daß einer angenehm sei, hilft nicht, daß er ein Ding wohl könne, sondern alles liegt an der Zeit und Glück. Pred. 9, 11. Allein dieselben, so durchs Perspektiv des Worts und Glaubens das Wesen der Welt beobachten, die werden bald gewahr, daß in solcher offenbaren Unordnung eine verborgne Ordnung sich findet, und da sie zuvor nicht gewußt, welches Strumpf oder Stiel, ersehen sie bald, daß Gottes weise und mächtige Hand alles geschickt an einander gefügt und bei so mancherlei verworrner Veränderung den Gang seiner unveränderlichen Vorsehung erhält, also, daß, was bei uns den Namen des Glücks, eines Zufalls, einer ungefähren Begebenheit führt, nichts anders ist, als eine Vollstreckung der göttlichen, gnädigen, gerechten und unwandelbaren Verordnung. In diesen Dingen ist es am sichersten, wenn man es wie die Kinder macht, welche, wenn sie in die Sonne sehen wollen, ein Papier mit einer Nadel durchstechen oder einen Flor vors Gesicht thun, damit sie ohne Schaden das helle Sonnenlicht beleuchten möge. Beliebt dir das nicht, Mensch, so komm, wir wollen zu einem künstlichen Uhrmacher gehen; siehe, dieser hat eine kostbare Uhr mit vielen Rädern, Federn, Stiften und Triften verfertigt, alles aufs genauste abgezirkelt, abgemessen, gefügt und eingerichtet; da liegen die Stücke von so mancher Gestalt, Größe und Verrichtung vor deinen Augen, sie haben ihre Ordnung und Ort; weißt du aber, sie zusammen zu setzen und zu Gang zu bringen? Ich halte es nicht, und wenn du dich gleich lange bemühst, so wird doch nichts daraus, als daß du meinst, es könne nicht möglich sein, daß aus so mancherlei Gestalten eine könne werden. Allein, laß den Künstler dazu kommen, so wirst du bald sehen, was seine sinnreiche Vernunft vermag. So ist’s auch hier; Gott hat alles mit Maß, Zahl und Gewicht geordnet, Weish. 11, 22. Er hat Ursachen mit Ursachen gefügt, allen seinen Geschöpfen ihre gewissen Wirkungen zugeeignet und endlich dem ganzen Werk das Gewicht seiner Allmacht und Weisheit angehängt. Hierauf merke, wenn du wissen willst, was es geschlagen hat! Mein Gott! ich danke dir, daß du mit wachsamen Augen alles gnädiglich und weislich regierst! Ich danke dir, daß es nicht geht, wie der Mensch, sondern wie der Herr will! Zu wem wollte ich besser Vertrauen haben, als zu dir? Ins künftige wie seltsam mir auch zuweilen das Wesen der Welt wird vorkommen, will ich schweigen und meinen Mund nicht aufthun; du wirst es wohl machen. Ps. 39, 10.
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