Das Krachen des Holzes
Gotthold hatte sein Wesen eine Zeit lang auf einer Stube, in welcher ein Kasten stand, der mit starkem Krachen ein herannahendes Ungewitter zuvor anzudeuten pflegte. Als nun solches auch einstmals geschah, wie er mit einem Herzensfreunde sprach, wurden sie darüber redend, was doch die Ursache solches Krachens sein möchte. Gotthold sagte: Man hält dafür, daß sonderlich das windbrüchige Holz oder die Bretter, so aus einem nicht von der Art, sondern vom Winde gefällten Baum geschnitten sind, sich also hören lassen; was aber eigentlich die Ursache sei eines solchen oftmals harten Krachens, wird schwerlich recht genau zu erforschen sein. Die Natur hat auch ihre Wunder und ihre Tiefen, welche der menschliche Verstand nicht ergründen kann, der sich doch mehrmals erkühnen darf, die Tiefen der Gottheit zu untersuchen; davon er aber nichts, als vergebliche Mühe oder auch wol Verblendung und Thorheit zum Lohn hat. Lasset uns aber, indem andere, denen es belieben wird, nach den Ursachen dieses Holzkrachens forschen, auf eine nützliche Erinnerung zur Gottseligkeit bedacht sein. Ihr wisset, was der h. Apostel sagt: Wir wissen, daß alle Kreatur sehnet sich mit uns und ängstet sich noch immerdar. Rom. 8, 22.; von welchen Worten, dergleichen man sonst in der Schrift nicht findet, die Ausleger zwar nicht einerlei Meinung haben, doch warum wollen wir ihnen eine andere geben, als sie selbst haben? Was hindert uns daran, daß wir nicht sollen sagen und halten, daß Himmel und Erde und andere Geschöpfe darinnen unter der Last der Bosheit der gottlosen Menschen und unter dem Dienst der Eitelkeit wahrhaftig seufzen, stöhnen, klagen und sich ängsten wie ein Weib in Kindesnöthen? Zwar wie es eigentlich mit diesem Seufzen und Aengsten zugeht, wissen wir nicht, wir hören auch solch Aengsten und Stöhnen der Kreatur nicht, Gott aber weiß und hört es, und der hat es durch seinen H. Geist seinem Apostel offenbart. Wohl sagt der liebe Luther (Kirchenpostille, Sommertheil): „Ob die Kreatur solche Zungen und Sprache nicht hat, wie wir, so hat sie doch eine Sprache, die Gott und der H. Geist hört und versteht, wie sie seufzt über das Unrecht.“ Als Kain seines Bruders Blut vergossen hatte, wußte er nichts von dem Geschrei, das solches Blut zu Gott that, Gott aber hörte es. 1. Mos. 4, 10. Gleichwie die Kreaturen Gott loben und seinen Ruhm erzählen, nicht allein, weil sie die Menschen zum Lobe Gottes aufmuntern, (denn dies erlangen sie bei den wenigsten), sondern auch mit ihren Kräften und Wirkungen, also seufzen sie und ängsten sich, indem sie eine verborgene Kraft als einen Seufzer zu Gott aufschicken und um die Offenbarung der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes und um Rache über die Gottlosen sehnlich rufen mit einem Geschrei, das Gott hört und versteht. Ach, wenn sich dessen die sichere heutige Welt, so oft sie ein belästigtes, hungriges oder sterbendes Thier seufzen, schreien und stöhnen hört, oder so oft sie ein solch Krachen hört, erinnern, und es zu Herzen nehmen wollte! Aber sie ist so überklug, daß sie solcher Dinge lacht, und so sicher, daß sie es nicht zu Herzen nimmt. Nun so fahr hin, du tolle sichere Welt, und wisse, daß es dir gehen wird, wie einem ungerechten Mann, der eine fromme Wittwe und ihre verlassenen Waisen beleidigt; der achtet ihr Gebet, ihr Seufzen, ihre Thränen noch und fährt fort in seinem Muthwillen; er denkt: Ein Mund voll Wind und eine Hand voll Wassers thut mir nichts! Aber wie oft haben wir es erfahren, daß der Wittwen Thränen eines reichen und gewaltigen Schinders Vermögen haben hinweg geschwemmet, ihre Seufzer haben sein ganzes Haus als ein gewaltiger Wind umgestoßen. Gewiß, der Kreatur Seufzen und Aengsten wird endlich nicht vergebens sein, sondern die gottlosen Spötter und Verächter in ewige angst und seufzen stürzen. Indessen, mein Freund! laßt uns auch mit Seufzen und bei uns selbst heimlich, doch kräftig nach der Offenbarung unserer Kindschaft und unserer Erlösung sehnen; ach, wenn ich könnte alle auserwählten Kinder Gottes in der ganzen Welt dazu aufmuntern, daß sie keine Stunde wollten lassen vorbei gehen, da sie nicht sollten einen herzlichen Seufzer nach dem Himmel senden und sagen: Amen! Ja, komm, Herr Jesu! Offenb. 22, 20. Doch, was aufmuntern? Wie sollte in diesen letzten betrübten und verderbten Zeiten ein Kind Gottes sein, das nicht stündlich um die Zukunft des Herrn Jesu seufzte? Herr Jesu! du hörst das Seufzen deiner Gläubigen, du wirst es auch bald erhören.
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