Das Kind
Gotthold sah ein Kind sitzen, welches, nachdem es sich satt gegessen, dennoch eine Semmelschnitte gefordert hatte und selbige verbrockte. Hier sehe ich, sprach er, was Ueberfluß thut, und was unserer verderbten Natur damit gedient ist, wenn sie zu viel hat. Dieses Kind, wenn es Hunger hätte, würde mit Lust das liebe Brod essen und ungern ein Krümlein verspillen. Jetzt aber, da es satt ist, da spielt es damit und verderbt es. So gehts uns alten Kindern auch; die schwersten Zeiten lehren am besten haushalten und die Gaben Gottes mit Furcht und Dankbarkeit genießen. Der Ueberfluß aber hat eine Nachfolgerin, die heißt Verschwendung, und werden wol niemals mehr Sünden begangen, als wenn Gott der Welt das meiste Gute thut und sie mit seinem reichen Segen überschüttet. Hingegen sieht man niemals mehr gen Himmel, als wenn Gott den Brodkorb hoch hängt, und im Mangel lernen wir erkennen, wie hoch und theuer der Segen Gottes zu halten sei Mein gnädiger und lieber Gott! ich weiß bald nicht, wie du es der Welt eben machen willst. Giebst du wenig, so klagt und murrt sie; giebst du viel, so prangt und raset sie. Ach, Vater, halte der Thorheit etwas zu gute! Was mich betrifft, will ich mir weder Armuth, noch Reichthum, weder Mangel, noch Ueberfluß wünschen. Ich traue mir selbst in beiden Fällen nicht. Ich weiß wohl, was ich mir wünschen will: gieb mir, mein Vater, was du willst.
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