Das graue Haar
Es begegnete ihm auf der Gasse ein bejahrter wohlverdienter Mann, welcher, als er beim Gruß sein silberweißes Haupt entblößte, ihm die Gedanken machte, daß er bei sich selbst sprach: nun befind ich in der Wahrheit, was die Schrift sagt, daß graue Haare, die auf dem Wege der Gerechtigkeit gefunden werden, eine Krone der Ehre und der Alten Schmuck sind. Sprüchw. 16, 31. 20, 29. Gott selbst, wenn er in menschlicher Gestalt sich hat wollen sehen lassen, hat das graue Haar erwählt, Dan. 7, 9. Offenb. 1, 14., und in seinem Gesetz der Jugend befohlen, daß sie vor einem grauen Haupt aufstehen und die Alten ehren sollte, 3. Mos. 19, 32., wie denn auch die Heiden aus dem Lichte der Natur erkannt, daß es eine große Schande sei, wenn man einem grauen Haupte keine Ehre erweise. Weil denn diese silberne Krone nicht nur durch viel Jahre, sondern mehrentheils durch viele Sorgen, Müh und Bekümmerniß erworben wird, so giebt ein jedes Härlein auf einem solchen Haupt der Jugend die Lehre, daß sie mit gebührender Ehre ihm begegnen, die gehabte Mühe mit Dank erkennen und Gott bitten soll, daß er solche Häupter, in welchen die weißen Haare viel weisen Rath, Erfahrung und Gaben bedecken, lange fristen und erhalten wolle. Mein Gott! es steht meine Zeit in deinen Händen; gefällts dir, mein Leben in die Länge zu erhalten und mich, wie du den Anfang gemacht, mit einem weißen Haupt völlig zu zieren, so verleih, daß ich selbiges als eine unbefleckte Ehrenkrone tragen möge. Gefällts dir aber anders, so bin ich auch wohl zufrieden und weiß, daß Klugheit unter den Menschen ist das rechte graue Haar, und ein unbefleckt Leben ist das rechte Alter. Weish. 4, 9.
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