Das gottselige Kind

In einer ehrlichen und fröhlichen Gesellschaft junger Leute wurde das bekannte Königsspiel zur Kurzweil hervorgesucht, da denn unter andern von dem durchs Loos erwählten Könige einem Kinde geboten ward, daß es seinem alten Vater, der zugegen war, neunerlei Ehre anthun sollte. Das that es nun ohne langes Bedenken auf folgende Weise: 1. sagte es: Mein liebster Vater, ich danke euch für alles Gute, das ihr mir von Kind auf erwiesen, für alle Sorge und Mühe, die ihr meinethalben gehabt, und für alle Unkosten, die ihr von dem, was ihr in eurem sauren Schweiß und Arbeit erworben, auf mich und meine Wohlfahrt verwandt habt. 2. küßte es ihm die Hand mit Bezeugung seiner Dankbarkeit für alle väterliche wohlgemeinte Züchtigung. 3. weil eben Aepfel auf dem Tische waren, nahm es einen, schälte und zertheilte ihn und bot die Hälfte dem Vater dar mit dem Erbieten, wenn es einmal durch Gottes Segen zu einem Stücklein Brods kommen und es der Vater bedürfen sollte, daß es gern mit ihm theilen wollte. 4. bückte es sich, lösete ihm die Schuhe auf, zog sie aus und setzte ihm die Pantoffeln hin, dabei meldend, daß ihm kein Dienst seinem Vater zu erweisen gering und verächtlich sein sollte. 5. weil es etwas spät auf den Abend, suchte es ihm sein Nachtgeräthe und legte es ihm mit holdseligen Geberdon hin. 6. bot es ihm einen frischen Trunk zum Schlaftrunk. 7. hielt es dem Vater seine Backen dar mit dem Begehren, daß er darauf schlagen sollte, zu bedeuten, daß es willig wäre, noch alle väterliche Erinnerung, und wenn sie auch mit Schlägen geschehen sollten, zu erdulden. 8. unterstand es sich, den Vater mit dem Stuhl aufzuheben und von der Stelle zu versetzen, anzuzeigen, wie bereit es wäre, da es nöthig, den alten schwachen Vater zu heben und zu tragen. 9. kniete es nieder und begehrte den väterlichen Segen, welchen es auch empfing, dabei aber dem Vater vor Freuden die Augen übergingen. Gotthold hörte und sah dieses und sprach: Nun bekenne ich, daß ich mein Leben lang kein lieblicher Spiel gesehen habe! Wenn ihr also spielt, wie tugendvoll muß dann euer Ernst sein! Hier spielen die Engel mit und der Höchste sieht zu und freut sich. Mein Gott! ich halts für die höchste Stufe zeitlicher Wohlfahrt, gottselige und wohlgerathene Kinder haben. Gönne mir dieses, mein Vater, daß ich dir mit Freudenthränen danken möge!

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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