Das Gewächs im Keller

Als Gotthold in einen Keller etwas zu besichtigen gegangen war, fand er eine Rübe, welche daselbst ungefähr war liegen geblieben; die war ausgewachsen, hatte lange, doch sehr schwache und zarte Sprossen gesetzt, welche doch mehr weißgelb, als grün und also ganz untauglich waren. Hier hab ich, dachte er, ein Vorbild menschlichen Vornehmens, welches Gott zu segnen und wachsen zu lassen nicht beliebt. Diesem Gewächs fehlt der Sonnenschein und die freie Luft, und darum kann es nicht fortkommen, sondern wächst eine Weile in Schwachheit, bis es vergeht. So ist alles unser Achten und Trachten, das Gottes Gnadenschein nicht bestrahlt und sein Segen nicht forthilft; wie auch unser Erlöser sagt: Alle Pflanzen, die mein himmlischer Vater nicht pflanzt, vergehen und werden ausgereutet. Matth. 15,13. Als er nun wieder hinausging, fiel ihm weiter bei, daß in solcher Pflanze auch gar artig abgebildet wäre ein unerfahrner und ungeübter Mensch, der etwa in einem Winkel gesteckt und viel zu lernen sich bemüht, auch selbst auf seine Wissenschaft ein Großes hält, vermeinend, daß er mit seiner selbst gewachsenen Weisheit nicht nur eine Stadt und Kirche, sondern wol die halbe Welt regieren und zu mächtigem Gedeihen bringen wolle, allein, wenn es hernach dazu kommt, hat er in seinem ganzen Schulsack nicht Künste genug, einem und anderm geringen Handel sein abhelfendes Maß zu geben, und befindet, daß es viel ein anders, sei, etwas bei ihm selbst wissen und, was man weiß, bei andern Leuten, die auch etwas wissen, zu Markt und anzubringen. Im Christenthum geht es auch so zu, daß wir vermeinen, es sei unser Glaube, Liebe und Geduld zum herrlichen Wachsthum gerathen, und steht doch alles oft auf sehr schwachen Füßen. Die Erfahrung macht Leute und das Kreuz gute Christen. Niemand wächst mit Bestand und Dauerhaftigkeit ohne Widerpart. Dies Gewächs hat die Sonne nicht beschienen, der Thau nicht befeuchtet, der Regen nicht genetzt, der Wind nicht bestürmt, die Kälte nicht gehärtet, darum ist’s untauglich. Also ein Christ, der nicht durch Glück und Unglück, in Lieb und Leid bewährt ist, kann nicht für tüchtig gelten. Drum sagt der theure und wohlversuchte Apostel: Trübsal bringt Geduld, Geduld bringt Erfahrung, Erfahrung bringt Hoffnung, Hoffnung aber läßt nicht zu Schanden werden. Röm. 5, 3. 4. 5.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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