Das ersparte Fünfmarkstück

Er besucht mich jedes Jahr einmal. Pünktlich und zuverlässig. Und dann übergibt er mir eine Spende für eine diakonische Einrichtung. Auch dies pünktlich und zuverlässig. Und wir haben dann beide eine Freude daran. Die Sache hat nämlich eine kleine, aber bedeutsame Vorgeschichte.
Der Mann gehörte einmal zu meinen Gemeindegliedern. Es ist schon lange her, aber ich entsinne mich ziemlich genau. Er kam zu mir eine gute Weile nach dem Sonntagsgottesdienst ins Pfarrhaus und erzählte, er habe heute etwas Wichtiges gelernt, was er mir sagen müsse. Er sei in der Kirche gewesen. Als er dann am Schluss des Gottesdienstes beim Hinausgehen seinen Geldbeutel zum Opfern geöffnet habe, da habe er ein Zweimarkstück und ein Fünfmarkstück darin gesehen. Es sei ihm dann die Entscheidung schwer gefallen, welches von diesen beiden Stücken er in die Opferbüchse werfen sollte. Schließlich habe er sich als ein guter, schwäbischer Sparer für das Zweimarkstück entschieden und sei dann mit dem beruhigenden Gefühl zur Kirchentüre hinausgegangen, der Kirche mit zwei Mark eine Wohltat erwiesen und für sich selbst fünf Mark gespart zu haben. Zufrieden sei er in sein Auto eingestiegen, um nach Hause zu fahren. Aber an einer Kreuzung habe ihn das Auge eines Verkehrspolizisten entdeckt, als er nicht vorsichtig genug einbog. Dafür habe ihm der aufmerksame Hüter des Gesetzes ein Verwarnungsgeld von fünf Mark abgeknöpft. Es war das Geldstück, das er an der Opferbüchse vorbei geschont hatte.
Daraus, so folgerte der Mann, habe er gelernt, dass Gott das, was man an ihm und seinem Werk einsparen wolle, auf andere Weise aus dem Geldbeutel heraushole. Gott habe seine knauserigen Überlegungen an der Opferbüchse wohl gemerkt und habe ihn deshalb in die Hand des Polizisten geraten lassen.
Es war seltsam, dass dieser Mann ausgerechnet bei einem so nebensächlich erscheinenden kirchlichen "Nachspiel" die Gegenwart und Nähe Gottes erfahren hatte und dass diese Erfahrung zu einem wichtigen Bestandteil seines Glaubens wurde. Seine Spende, die er jährlich zu mir bringt, ist ein Zeichen dafür, wie ernst er jene Lehre genommen hat. Und ich bin sicher, dass er bei dieser Übung bleiben wird, solang er kann und wir beide uns kennen; und er wird an der Sache Gottes nichts mehr zu seinen Gunsten einsparen wollen.
(Karl Frey)

Quelle: In Bildern reden, Heinz Schäfer, Beispiel 1262
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