Das Elefantengedächtnis

Warum in aller Welt musste der Mann im Zoo den Elefanten ärgern? Es war wohl nichts anderes als eine Dumme-Jungen-Laune. Als das Tier den Rüssel ausstreckte und einen Leckerbissen erwartete, hielt ihm der Mann seine glimmende Zigarette entgegen. Die schmerzharte Berührung erschreckte den Elefanten und amüsierte den Mann, der lachend unter dem missbilligenden Gemurmel der Umstehenden davonging. - Etwa ein Jahr später stand der Mann an der gleichen Stelle. Auch der Elefant war noch da. Als er den Mann sah, tauchte er den Rüssel in einen Wassereimer und durchnässte seinen früheren Peiniger mit einer kräftigen Dusche; jetzt waren es die Zuschauer, die lachten.
Das ist also das sprichwörtliche Elefantengedächtnis. Das Tier vergisst nicht, was ihm angetan wird, und es vergilt die Misshandlung noch nach Jahr und Tag. Auch Menschen handeln so, obwohl unsere Moral uns die Rache verbietet. Wer uns etwas antut, dem zahlen wir es heim. Gelungene Vergeltung befriedigt uns: "Rache ist süß", sagt das Sprichwort, eine Wahrheit, die niemand gern zugibt. Und wenn wir moralisch schon so weit fortgeschritten sind, dass wir auf Rache verzichten, dann speichern wir doch die Missetat des anderen in unserer Erinnerung, und da zeigt sich, dass auch wir ein Elefantengedächtnis haben. - "Wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben?", fragt Petrus. In dieser Frage klingt es schon an, wie mühsam das ist...

Quelle: In Bildern reden, Heinz Schäfer, Beispiel 1268
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