Das Buch Papier

Als Gotthold im Beisein eines guten Freundes etliche Buch Papier gekauft hatte, sagte er: Ich gedenke jetzt an einen berühmten und klugen Weltmann, der, als er von einem jungen Herrn gefragt worden, was für ein Buch von Welthändeln er ihm vor andern empfehlen wollte, geantwortet: Ein Buch rein Papier; das nehmet und reiset damit durch die Welt, habt fleißige Acht auf alles, was euch Merkwürdiges vorkommt in Regiments- und andern Sachen, und verzeichnet es euch und andern zur Nachricht, so werdet ihr ein gutes Buch haben, daraus ihr viel lernen könnt. Dieser kluge Mann hat die Erfahrung und die Beobachtung der Exempel höher gehalten, als alle andern Bücher. Gewiß, ich sollte fast auf gleiche Gedanken in geistlichen Dingen kommen. Wenn jemand von Kindesbeinen dazu angehalten würde, daß er Register hielte über die Wohlthaten Gottes und über die Wunder seiner Güte und Gerechtigkeit, die er an ihm selbst und andern sein Leben lang sieht und erfährt, was meint ihr, wie ein herrliches, nützliches Buch sollte sich einer zusammen bringen? Wie erbaulich und tröstlich würde es sein, im Durchblättern sich zu erinnern, wie uns Gott so wunderlich, doch gnädiglich geführt, so väterlich versorgt, so mächtiglich beschützt, so kräftig getröstet und seine väterliche Liebe, Treue, Langmuth, Sorgfalt und Güte so reichlich und mannigfaltig an uns erwiesen? Was mich betrifft, wenn ich alle große Barmherzigkeit, die mein Gott an mir gethan hat, sollte nach allen Umständen ausschreiben, ich wollte mehr, als ein Buch Papier damit erfüllen. Ich weiß es nicht allein aus dem Wort meines Gottes, sondern hab es auch in meinem ganzen Leben erfahren und befunden, daß Gott allmächtig, allweise, allwissend, gerecht, heilig, gnädig, gütig, langmüthig und von großer Gnade und Treue sei, ich hab es erfahren, daß er ein Vater der Waisen ist, daß er ein Vater der Barmherzigkeit und Gott alles Trostes ist, daß er uns mit seinen Augen nach seinem Rath leitet und uns endlich mit Ehren annimmt, daß er so allmächtig, weise und gütig ist, daß er auch aus dem Bösen weiß etwas Gutes zu machen, daß er oft unser Gebet erhört, oft nicht erhört, um einerlei Ursach, nämlich um unsers Besten willen, daß er es nicht böse mit uns meinen kann. Und hierin werden mir ohne Zweifel alle frommen Herzen Beifall geben. Was machen wir denn oft mit dem lieben Gott für Händel und sind so Zweifel- und kleinmüthig und so übel zufrieden mit seinen Wegen, als wüßte er an uns die erste Probe seiner Barmherzigkeit, Allmacht, Weisheit und Wahrheit sehen lassen? Oder als wenn wir heute erst mit ihm bekannt würden und seiner Treue nicht versichert wären. Kann er sich doch, wenn wir ja seinem Wort allein nicht trauen wollen, aus unsere eigne Erfahrung berufen und sagen: Ihr seid meine Zeugen! Jes. 43, 10. Was bekümmert ihr euch doch? Vernehmet ihr noch nichts und seid noch nicht verständig? Habt ihr noch ein verstarret Herz in euch? Habt Augen und sehet nicht, und habt Ohren und höret nicht, und denket nicht daran, Marc. 8, 17. 18. Da ihr in dieser oder jener Noth und Gefahr waret, wer hat euch geholfen und ausgeführet? Da ihr betrübt waret, wer hat euch getröstet? Da ihr verlassen waret, wer hat sich euer angenommen? Da ihr Waisen waret, wer hat euch versorget? Hab ichs nicht gethan? und kann ichs denn nicht ferner thun? Ich habe eine christliche kreuz- und tugendreiche Wittwe gekannt, welche berichtete, als sie wäre in ihren betrübten Zustand nach Gottes Willen gesetzt und noch nicht viel Erfahrung gehabt, so habe sie oft, sonderlich wenn es gegen den Winter gegangen, da jeder nach Möglichkeit sein Haus mit allerlei Nothdurft versorgt, und sie keine Mittel gewußt, sich auch mit Vorrath zu versehen, sorgliche Gedanken gehabt und manche Thränen aus Mißtrauen und Kleinmüthigkeit vergossen, als sie aber endlich durch jährliche Erfahrung gelernt, daß sie der himmlische Vater wunderlich versorge und ihr über all ihr Denken und Verhoffen hindurch helfe, habe sie hernach nicht mehr auf sich und ihr Unvermögen, sondern auf Gott und seine unbegreifliche Weisheit und väterliche Güte gesehen, welche sie nunmehr so oft erfahren, daß sie sich weder gegen den Winter, noch sonst mehr gräme oder bekümmere. Nun, mein Gott! ich habe es erfahren, daß du mein Gott bist, ich habe viel Proben deiner väterlichen Fürsorge und Treue, ich thäte dir das höchste Unrecht, wenn ich einiges Mißtrauen in dich setzen wollte.

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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