Das Brot
Als etliche gute Freunde mit Gotthold zu Tische saßen, sahen sie das schöne Brod, so aufgelegt war, mit Lust und Verwunderung an und sagte einer: O welch ein wunderbarer Gott, der so ein schönes Brod aus der Erde wachsen läßt! Gotthold fuhr fort und sprach: Ich habe es oft gesehen, daß gottselige fromme Christen ein Stücklein Brod, so ihnen ungefähr entfallen war, oder das sie sonst an der Erde gefunden, mit Ehrerbietung aufhoben und küßten. Wenn wirs recht bedenken, so wäre ein jeder Bissen, den wir in den Mund nehmen, solcher Werthhaltung wohl würdig. Ich halte das liebe Brod für die edelste Gabe, die Gott dem Menschen zur Erhaltung seines Leibes gegeben hat. Das liebe Brod ist bei unfern Mahlzeiten das erste und letzte, es schickt sich zu allen Speisen von Fleisch, Fischen, Früchten und Kräutern, es macht alle andern Speisen schmackhaft und dienlich, ja andere Speisen sind ohne Brod für keine Speisen zu achten. Es dient für Junge und Alte, für Gesunde und Kranke, es ist das letzte, welches den Kranken verleidet, und das erste, daran sie sich ihrer Kräfte erholen. Es ist dem Munde und dem Magen angenehm, und es müßte ein seltsamer Zärtling sein, der vor dem lieben Brod einen Ekel hätte. Es nährt wohl, es stärkt das Herz, erhält und ersetzt die Kräfte und ist, mit einem Wort, als es die Schrift nennt, 3. Mos. 26, 26., Hesek. 4, 16., ein rechter Stab, daran sich das menschliche Leben stützt. Es hat mir neulich ein gelehrter und glaubwürdiger Mann erzählt, daß er in seiner Jugend in einer berühmten sächsischen Stadt gekannt habe einen jungen Menschen vornehmen Geschlechts, welcher, nachdem er im vierten Jahre seines Alters eine schwere Krankheit überstanden und kaum davon gekommen, von der Zeit an vor allem Brod einen Abscheu gehabt und nicht ein Krümlein habe zu sich nehmen können, und obwohl seine Eltern gemeint, daß es aus Vorsatz geschehe, weil er in der Krankheit etwas zärtlich gehalten worden, ihn deßhalb mit Bedräuen und Schlägen Brod zu essen nöthigen wollten, auch, da er dennoch nicht daran gewollt, ihm heimlich etwas weniges beigebracht, so hat sichs doch befunden, daß er schwer davon krank und also offenbar geworden, daß es nicht Vorsatz, sondern ein sonderbarer Ekel der Natur wäre, darum sie ihn hernach zufrieden gelassen. Dieser Mensch gebrauchte anstatt Brodes, wenn er etwas Fettes aß, entweder hart gekochte Leber oder mageres gekochtes Rindfleisch, war aber schwach, hager, blaß und bleich, und beklagte mit Thränen, daß er von dem lieben Gott also heimgesucht wäre, daß er die allergemeinste und beste Speise der Menschen, das liebe Brod, zu essen als wie nicht werth gehalten würde. Nun wahrlich, wir wären alle des lieben Brodes nicht werth, wenn wir in Betrachtung desselben nicht auf den milden Geber und Schöpfer, ^ der es aus der Erde bringt, Ps. 104, 14., wollten sehen und Acht haben. Die Kraft des Brodes ist Gottes Kraft, der Geschmack desselben ist ein Vorschmack seiner reichen Güte; denn der Mensch lebt nicht allein vom Brod, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht, Matth. 4, 4. Darum soll man die Kinder gewöhnen, daß sie mit dem Brod bescheidentlich umgehen, es nicht unzeitig verbrocken und den wohlthätigen milden Brodmeister im Himmel frühzeitig erkennen und loben. Man soll zu ihnen sagen, wie dorten steht, Jes. 65, 8. Verdirb es nicht, es ist ein Segen Gottes darin. Die Juden schreiben in ihrem Talmud: Wer das Brod verschmäht oder verachtet, der komme in große Armuth, und es sei ein besonderer Engel gesetzt, daß er Acht habe auf die, welche das Brod auf die Erde fallen lassen, daß man mit Füßen darauf tritt; solche bringt er in Armuth. Ach, gütiger Gott! wie viel Brod wird in der Welt gegessen, dafür du keinen Dank hast! Ja, wie viel, die dein Brod essen, treten deinen Segen mit Füßen! Gieb mir, mein Vater, nicht allein das tägliche Brod, sondern auch dieses, daß mein Mund, der dein Brod ißt, deinen Namen preise und mein ganzes Leben, das durchs Brod erhalten wird, dir und deinem Ruhm ergeben sei!
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