Das Brodbröcklein
Gotthold fand ein Stücklein Brods in seiner Stube an der Erde liegen, hob es auf und befahl, es den Hühnern zu brocken, bestrafte zugleich die Seinigen, daß sie die edle Gabe Gottes nicht besser zu Rath hielten und sagte: Ich versichere euch, daß es mir ein großer Verdruß und Widerwille ist, wenn ich das liebe Brod muß sehen unwerth halten oder sonst auch mit andern Gaben des milden Schöpfers unrathsam umgehen; denn sie haben gleichsam eine Heiligkeit bei sich und sind über Gold und Silber, über Perlen und Edelsteine zu achten, weil sie von Gott Segen und Kraft empfangen haben, den menschlichen Leib, der ein Tempel des Höchsten ist, zu ernähren und zu unterhalten. Ihr könnt jetzt nicht erkennen, wie werth und theuer ein solch Stücklein Brods zu schätzen, weil ihr beim Ueberfluß erzogen und niemals Mangel daran gehabt; allein ich weiß, daß etwa vor 30 Jahren einem von Hunger fast verschmachteten Soldaten vor eines Predigers Thür ein Stücklein Brods gereicht ward, welches er mit Freuden und thränenden Augen empfing, küßte und sagte: O du herzenliebes Brod! Gott sei Lob! daß ich dich einmal wiedersehe! berichtet darauf, daß er in vielen Wochen keines gesehen, viel weniger genossen. Zu der Zeit ward Brod von Kleien, Kaff und Eicheln gebacken, die Traber oder den Sey, wie man hier redet, haben die Leute reißend weggeholt, die Häringslacke ward häufig gekauft, das Wasser, gekochtes Kraut und Gras, Wurzeln und dergleichen damit zu salzen, die Kohlstrünke und weggeworfenen Knochen sind von den armen Kindern fleißigst aufgesucht und aus dem Gerinne aufgehoben worden, die Leute gingen schwarzgelb, grünlich, dürr, geschwollen und ohnmächtig auf den Gassen und suchten ihren Hunger zu stillen, die umgefallnen Pferde waren ihr Wildpret. Endlich hat man mit Schrecken und Herzeleid erfahren, daß ein Kind an seiner von Hunger gestorbenen Mutter Brust Nahrung gesucht und dabei verschmachtet, worauf ihm der Vater mit einem Nagel das Brüstlein eröffnet, das Herz und die Leber herausgenommen und verzehrt, doch bald darauf seinen Geist aufgegeben. Hieran gedenket, wandelt in der Furcht Gottes und versündiget euch nicht mit Mißbrauch seiner edlen Gaben! Seht, die Hühner werden die Bröcklein, die ihr unter den Füßen lasset liegen, mit Lust essen, und erinnert euch der lieben Armuth, welche die Brosamen, so von des Reichen Tische fallen, begehren, sich damit zu sättigen. Luc. 16, 21. Darum vergesset derselben nicht, daß Gott euer wieder nicht vergesse! Habt ihr etwas übrig, theilet es mit den Dürftigen, seid aller Verschwendung und Ueppigkeit von Herzen.feind und haltet dafür, daß ihr auch mit einem Stücklein Brods, wie mit einem Becher kalten Wassers, Matth. 10, 42., den großen Gott euch verpflichtet machen könnt. Mein Herr Jesu! gieb mir aus deiner göttlichen Hand mein bescheiden Theil und meinen Bissen Brods, weil ich lebe! Gieb mir auch durch deinen H. Geist ein demüthiges, weises und dankbares Herz, daß ich deine milde Güte auch im trockenen Brod koste, hoch achte und preise!
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