Das Blumenbuch

Ein vornehmer Manu, der ein Blumenfreund war und in denselben die Wunder des allgewaltigen Schöpfers zu betrachten pflegte, zeigte Gottholden zur Herbstzeit ein Buch, darinnen er mancherlei Art der schönsten Blumen hatte aufbehalten, so daß man auch, da sie verwelkt und dürre geworden, ihre mannigfaltige Schönheit gutermaßen erkennen konnte und sich zu verwundern Ursache hatte. Gotthold wünschte hiebei, daß wir es mit den Wohlthaten Gottes auch so halten und dieselben uns und andern zum Trost und Unterricht in ein Buch schreibei! und ihr Gedächtniß nicht verwelken lassen möchten. Unser ganzes Leben ist mit Blumen der göttlichen Weisheit, Allmacht und Güte geziert; ist eine Gnade vorbei, eine andere kommt wieder hervor; fällt eine Wohlthat ab, die andere blüht wieder aus. Wie nun Gott befohlen hat, das Manna, damit er sein Volk in der Wüste vom Himmel gespeiset hat, so auch die Ruthe Aarons, welche in einer Nacht geblüht und Mandeln getragen, verwahrlich beizulegen den Nachkömmlingen zum Gedächtniß, so will er auch, daß seine Wohlthaten in unsern Herzen sollen verwahrt werden, uns selbst zum Trost und andern zur erbaulichen Nachricht. Sehr wohl hat ein kluger Mann geschrieben: die Welt hätte längst überaus klug und weise werden können, wenn sie durch ihre eigene Erfahrung sich hätte belehren lassen wollen; allein deren vergessen wir mit der Zeit; so auch ein Christ, wenn er ein Zeitbuch über sein Leben würde halten, würde er darin zusammenbringen so viele Proben der Güte, der Langmuth, der Weisheit, der Allmacht, der Hülfe Gottes, daß man mit größerer Lust und Nutzen, als in diesem Blumenbuch, darinnen würde blättern können. Im Eingange dieses Buchs müßte stehen: Kommt her, höret zu alle, die ihr Gott fürchtet; ich will erzählen, was er an meiner Seele gethan hat. Ps. 66, 16. Und der Schluß müßte sein: Meine Seele soll sich rühmen des Herrn, daß die Elenden hören und sich freuen; preiset mit mir den Herrn, und laßt uns mit einander seinen Namen erhöhen! Ps. 34, 3. 4. Im weitern Nachdenken wünschte er von Herzen, daß die, so sich an der Gottseligkeit üben, möchten sich ein Buch machen, darinnen sie nicht allein die vornehmsten Kern- und Machtsprüche der h. Schrift, die voller Trost, Geist und Leben sind, sondern auch allerlei gute Reden, Lehren und heilige Gedanken, die sie aus den Predigten, im Beichtstuhl, in gottseligen Gesprächen mit dem Nächsten und sonst bemerken, zusammen trügen. Man hat Exempel gottseliger Herzen, die solche Blumenlese gehalten und in ein Buch zusammen getragen mit ihrem großen Nutzen. Es ist im Jahr Christi 1626 den 31. August verstorben ein Bürgermeister einer benachbarten Stadt, welcher in seinem mit eigner Hand geschriebenen Lebenslauf diese Worte hinterlassen: „Dieses muß ich Gott zu Ehren und der Wahrheit zu Steuer berichten, daß ich meinen Glauben dadurch merklich erbaut, vermehret und in Anfechtung gestärkt, indem von Anno 1595 den 28. Juni, da ich des H. Geistes Bewegniß hiezu insonderheit empfunden, bis dies 1626te Jahr ich aus den gehörten Predigten gemeiniglich 2 oder 3 heilige Anmerkungen, so mir vor andern gefallen, zu Hause aufgezeichnet, bei mir fleißig erwogen und wohl bekannt gemacht, welches mir viel Gutes gethan, auch hoffentlich bis auf mein letztes und seliges Abfahren thun wird und soll, maßen denn meine liebe Kinder dergleichen heiligen Lehren zwei geschriebene Bücher finden werden; wollte von Herzen wünschen, daß sie hierin meinen Fußstapfen folgen möchten.“ Dieser Mann hat es erfahren, was ihm dieser sein heiliger Fleiß für Nutzen geschafft, und ich weiß es auch. Ein solch Buch ist wie eine Hausapotheke, darinnen allerlei bewährte Mittel zu finden; es ist wie dies Buch, das uns zu den Gedanken veranlaßt, voller Blumen, doch nicht, die verwelkt und dürre, sonder n die voller Kraft und Saft sind und einen Geruch des Lebens zum Leben von sich duften; es ist wie ein Balsambüchslein, welches man so bald nicht eröffnen kann, daß man den edlen Geruch nicht sollte empfinden; es ist dieser Auszug aus der Bibel und der gesammelte heilige Vorrath besser, als die vollen Kammern der Welt, welche einen Vorrath nach dem andern hervor geben können. Ps. 144, 13. Ist es nicht zu beklagen, daß wir sammeln im Zeitlichen und wissen doch nicht, wer es kriegen wird, und vergessen aufs Ewige zu sammeln, dessen wir am meisten werden benöthigt sein? Run wohlan! sammle, wer da will, was andere wieder zerstreuen werden, ich will mit Gottes Hülfe etwas sammeln, das mir keine Welt, Teufel, noch Tod abnehmen soll!

Quelle: Christian Scriver - Gottholds zufällige Andachten
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