Das Betteln
Als ein alter Mann, der vordem großen Vermögens gewesen und in guter Nahrung gesessen, im Beisein Gottholds vor eines andern Thür ein Almosen suchte, seufzte derselbe darüber und sagte: Da sehen wir die Früchte des betrübten Krieges, der dieses ehemals wohlhabenden Mannes Güter weggefressen, daß er nunmehr uns andern zum Schauspiel da gehen und vorbedeuten muß, was wir ebenfalls zu erwarten haben. Gotthold sagte darauf: Es findet sich beides in der Schrift, daß des Gerechten Same nicht solle nach Brod gehen, Ps. 37, 25., und daß dennoch ein frommer Mensch, dessen Seele von den Engeln in Abrahams Schooß getragen zu werden gewürdigt, der Lazarus nämlich, ein Bettler gewesen ist. Luc. 16, 20. Daraus ist dieses zu schließen, daß es den Gottlosen eine Strafe, den Frommen aber eine Bewährung, zum wenigsten aber kein Hinderniß zur Seligkeit ist, wenn sie ihr Brod vor anderer Leute Thüren suchen müssen. Alles steht in göttlicher gnädiger und allweiser Verordnung, der manchen in den Himmel nicht brächte, wenn er ihn nicht zum Bettler werden ließe. Ist dieser Mann wohlhabend gewesen, so hat eben der ihm solches Vermögen zugewandt, der es ihm jetzt wieder genommen hat, aus Ursachen, davon wir zu urtheilen nicht allemal Fug haben; und muß er freilich andern, deren Glück, Gut und Muth jetzt in der Blüthe steht, von der Demuth und daß sie das Herz an den beständigen Unbestand der weltlichen Dinge nicht hängen sollen, predigen. Und wer will zweifeln, daß es ihm besser sei, in Armuth, Schwachheit und Verachtung bei seinem Bettelstab zum Leben eingehen, als viele Güter haben und behalten und in das höllische Feuer geworfen werden? Denn was ist besser, hier betteln in diesem Leben, oder dort in jenem? Lazarus bettelte hier und konnte die Brosamen, die von des Reichen Tisch fielen, nicht erlangen; der reiche Mann bettelte dort und kann nicht einen Wassertropfen, seine flammende Zunge abzukühlen, bekommen. So ist es ja besser, hier mit Lazarus das Brod, als dort mit dem Reichen das Wasser betteln. Mein Gott! was bedarfs groß Wesens, wie ich zum Himmel durchkommen soll, wenn ich nur durchkomme! Führe mich nur die geradeste Straße zum Himmel, unter welchem Habit du willst. Ich bleibe durch deine Gnade dir getreu bis an den Bettelstab..
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