Botschaft einer indischen Gottheit
Ein Indienreisender berichtete, dass der Gott Shiwa gelegentlich seltsam dargestellt wird: mit prall gefüllten Backen (wie ein Hamster) und einem mächtigen Kropf. Dazu erzählen die Inder eine tiefsinnige Legende, die auch uns Christen etwas zu sagen hat:
Ganz am Anfang, als noch alles flüssig war, saßen die Götter um einen Teich, der die »Weltenbrühe«, die »Ursuppe« des Kosmos in sich fasste. Wie Frauen die Milch schlagen, damit Butter daraus werde, so rührten sie die Flüssigkeit, damit formbares Material entstehe. Shiwa, der zuschaut, bemerkt, wie bei dem Rühren Gift entsteht, das »Weltengift«, das einmal als Säure des Todes alles durchziehen und letztlich zersetzen wird. Von Mitleid gepackt, wirft er sich zu Boden, saugt und schlürft das Weltengift in seinen Mund, speichert es in Backen und Kropf, schafft sozusagen eine Mülldeponie für das Weltengift. Aber der mitleidige Shiwa ist zugleich ein vorsichtiger Gott; er hütet sich, das Gift hinunterzuschlucken, denn es ist selbst für ihn tödlich.
Dazu machte der Reisende, ein Christ, die kurze Bemerkung: »Wir Christen aber bekennen: Jesus hat das Gift in sich hineingeschluckt, das ist die Karfreitagsbotschaft.« - Jesus hat den Tod »verschlungen«, eine »Giftdeponie« genügte ihm nicht: die Schuld- und damit die Todesfrage wollte er endgültig bewältigen.
(Siegfried Kettling)
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