Berufen zum Engel der Gefangenen

Mathilda Wrede, Tochter eines Gouverneurs in Finnland, hatte schon gelegentliche Besuche in einem Gefängnis gemacht. In einer Nacht erlebte sie etwas Merkwürdiges. Ein Gefangener kam in ihre weiße Stube herein ... mit schweren Ketten an Hand und Fuß, die klirrten, während er näher trat... Mitten im Zimmer blieb er stehen und sah sie mit unsaglich traurigen Augen an. Sie wusste nicht, ob er es war, der sprach; aber ganz deutlich vernahm sie die Worte: "Tausende von armen, gebundenen Seelen seufzen nach Leben, Freiheit und Frieden. Sag' ihnen ein Wort von Ihm, der sie frei machen kann, so lange du noch Zeit dazu hast!" Danach verschwand er. 
"Kann es wirklich der Wille des Herrn sein", dachte sie, "dass die Gefangenen in erster Linie für mich kommen sollen?" Sie war jung und von sehr zarter Gesundheit; und nun stand sie hier einer Riesenaufgabe gegenüber, die sie nicht überschauen konnte... 

Lange, lange lag sie da und kämpfte mit widerstreitenden Gefühlen. Um ihr Gemüt etwas zu beruhigen, schlug sie endlich die Bibel auf. Ihr Blick fiel auf die Worte in Jeremia 1,6-8. Diese Worte waren ja wie eine Antwort. Mit einem Gebet um Bestätigung, wenn sie es so auffassen solle, schlug sie die Bibel an einer anderen Stelle auf - obgleich diese Art, eine Entscheidung zu suchen, womit man ja auch mehr als vorsichtig sein sollte, ihr sonst nicht lag. Diesmal traf sie auf ein Wort in Hesekiel 3,9-11...

In jener Nacht wurde sie von Gott selbst an ihren Platz gestellt.

Quelle: Er ist unser Leben: Beispiel- und Stoffsammlung für die Verkündigung, Martin Haug, 1941, Beispiel 310
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