Bereitschaft loszulassen
An einem Februartag des Jahres 1860 kämpfte in Rom die Frau des damals viel gelesenen amerikanischen Schriftstellers Nathaniel Hawthorne (1804-1864) um Una, ihre älteste Tochter, die an einer bösartigen Malaria dahinstarb. Der behandelnde Arzt hatte der Mutter mitgeteilt, dass das Mädchen am Nachmittag des nächsten Tages tot sei, wenn das Fieber nicht am Vormittag falle. Während Frau Hawthorne neben Unas Bett saß, wanderten ihre Gedanken zu ihrem Mann im angrenzenden Zimmer. Sie dachte über seine Worte nach dem Arztbescheid nach:
»Ich kann nicht zwischen Hoffnung und Furcht beständig hin und her schwanken; ich habe mich entschlossen, nicht mehr zu hoffen.«
Die Mutter konnte eine solche Hoffnungslosigkeit nicht ertragen. Una konnte nicht, sie durfte nicht sterben. Diese Tochter glich so sehr ihrem Vater, sie hatte seinen reichen Geist. Sie war die harmonischste von allen Hawthornekindern. Wer konnte von ihr verlangen, dass sie das Kind aufgab?
Una phantasierte seit einigen Tagen, sie erkannte niemanden mehr. Sollte sie in dieser Nacht sterben, würde man noch nicht einmal Abschied nehmen können. Gegen Mittemacht lag das Kind so still, als sei es schon im Vorzimmer des Todes. Die Mutter ging an das Fenster und schaute hinunter auf den Platz.
Der Himmel war dunkel, still, schwer von Wolken. »Ich kann das nicht ertragen - ich kann es nicht - ich kann es nicht...« Dann kam urplötzlich ein anderer Gedanke in ihr hoch. »Warum muss ich an der Güte Gottes zweifeln? Lass ihn Una nehmen, wenn er es für das beste hält. Noch mehr: Ich kann sie ihm geben! Ich gebe sie dir, Herr!«
Dann geschah etwas Seltsames. Nachdem Frau Hawthorne dieses große Opfer gebracht hatte, erwartete sie, dass sie sich noch elender fühlen würde. Aber ihr wurde leichter, sie war so glücklich, wie sie seit Unas langer Krankheit nie mehr gewesen war.
Einige Minuten später ging sie an das Bett des Mädchens zurück und legte ihre Hand auf Unas Stirn. Sie war feucht und kühl. Ihr Puls ging langsam und regelmäßig. Una schlief. Da huschte die Mutter nach nebenan, um ihrem Mann das Wunder mitzuteilen, das geschehen war.
(Catherine Marshall)
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